Die Jahre zwischen 1950 und 1973 werden oft als die «fetten Jahre» bezeichnet. Sie bildeten auch eine der Grundlagen, die zur heutigen Wohlstands- und Konsumgesellschaft führten. Möglich wurde diese Entwicklung durch das damals herrschende «Gleichgewicht des Schreckens », das durch seine Stellvertreterkriege ausserhalb Europas bei uns eine politisch zwar unsichere, aber relativ ruhige Zeit ermöglichte. In die gleiche Zeit fallen die ersten Schritte zu einer europäischen Einigung. Da sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Muttenz immer mehr eine starke Exportwirtschaft mit über Europa hinaus wirkenden Logistikfirmen entwickelte, müssen diese Erscheinungen in unsere Betrachtung einbezogen werden.
Konjunkturelle Erscheinungen
Die Nachkriegs-Boomjahre waren gekennzeichnet durch eine gewaltige Produktivitätssteigerung, durch immer wieder auftretende Teuerungsschübe und durch bundesrätliche Versuche von ämpfungsmassnahmen. Besonders nach 1960 zog die Konjunktur wieder in einem starken Ausmass an, verursacht v.a. durch exportorientierte Wirtschaftszweige, die schon damals auch in Muttenz tätig waren. Ab 1962 versuchte der Bundesrat, diese Expansion in Grenzen zu halten, leider mit wenig Erfolg. Später begnügte er sich, die durch die Konjunktur entstandene Teuerung zu bekämpfen. Trotzdem stieg der Teuerungsindex von 158 (1950) auf 244 (1968). Die durchschnittliche Teuerung betrug damals pro Jahr ca. 3 %.
In dieser Zeit verdreifachte sich das durchschnittliche Einkommen von Fr. 20 000.– auf Fr. 60 000.–. Sogar sozialdemokratische Kreise anerkannten diese wirtschaftlichen Fortschritte mit der Bemerkung, dass sich die Dualität zwischen Kapital und Arbeit langsam aufzulösen scheine. Die Wohlstands- und Konsumgesellschaft war damit geboren. Erst mit der 1973 beginnenden Ölkrise ging die wirtschaftliche Entwicklung langsam in eine Rezession über.
Regionale Entwicklung
Seit 1950 war in Basel-Stadt eine starke Zunahme der Bevölkerung zu beobachten mit der Folge, dass 1953 in der Stadt der Leerwohnungsbestand nur noch 0.04% betrug. Dadurch war die städtische Regierung sogar gezwungen, den Wohnsitzzwang der Staatsangestellten in der Stadt aufzuheben. Dieser Bevölkerungsdruck führte zu einer Stadtflucht und zu einer Suburbanisierung der Agglomeration. Da in der entstehenden Leistungs- und Wohlstandsgesellschaft genügend Geld vorhanden war, leisteten sich viele Familien das «Wohnen im Grünen» in einem Einfamilienhaus. Von dieser Ausdehnung der Agglomeration waren im Hochrheintal besonders Birsfelden, Muttenz und Pratteln nicht nur durch Wohnbauten, sondern auch durch die Neuansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben betroffen. Dazu kam, dass das bestehende Steuergefälle zwischen Stadt und Landschaft durch die Ablehnung der Wiedervereinigung 1969 zu Gunsten der Landschaft zementiert wurde. Wieweit diese Ablehnung auch durch die damals herrschende Planungseuphorie (St. Galler Arbeitsgruppe für Perspektivstudien, geleitet von Prof. F. Kneschaurek) und die daraus auch im Baselbiet abgeleiteten positiven Wachstums- und Zukunftsprognosen zustande kam, kann heute nicht mehr eruiert werden.
Rangierbahnhof II
Als Verstärkung der Muttenzer Infrastruktur muss der Ausbau des Rangierbahnhofes II in Muttenz zwischen 1962 und 1976 erwähnt werden. Damit konnten nun in Muttenz sowohl aus Richtung N-S wie auch aus Richtung S-N kommende Güterzüge rangiert werden. Der gesamte Rangierbahnhof hatte nun neu 2 600 m statt der bisherigen 1 700 m Rangiergeleise und es konnten täglich bis zu 10 000 statt wie bisher nur bis 6 000 Güterwagen rangiert werden.
Auhafen/Rheinschifffahrt
Schon mit der Ausbauetappe II im Rheinhafen Au (ab 1950) machten sich erste Veränderungen und Probleme in der Rheinschifffahrt bemerkbar. Die Kohle als Schüttgut wurde zunehmend durch Erdölprodukte als Flüssiggut ersetzt. Auch im Auhafen entstanden nun neu Löschanlagen und Tanks für Erdölprodukte. Zudem wurde die Ladekapazität der neuen Schiffe von durchschnittlich 750 bis 1 200 t auf 1 500 - über 2 000 t erhöht. Das erzeugte eine Überkapazität besonders an älteren Schiffen. Daher wurden auch Abwrack-Aktionen durchgeführt. Und nicht zuletzt liess Deutschland entgegen der Mannheimer Akte (freie Rheinschifffahrt) für den Schiffsverkehr zwischen deutschen Häfen nur noch Schiffe der Europäischen Gemeinschaft zu. Um die Rheinschifffahrt trotzdem rentabel zu halten, entstand um 1955 das Basler Projekt der Hochrheinschifffahrt zwischen Basel, dem Bodensee und dem Genfersee. Das Projekt war kühn, doch die Kosten noch kühner. Daher blieb es beim Projekt. Der Schrumpfungsprozess war nicht aufzuhalten: 1967 waren im Basler Schiffsregister für die Rheinschifffahrt 9 Reedereien mit total 253 Schiffen registriert, 1970 waren es noch 3 Reedereien mit 91 Schiffen.
Im letzten Kapitel haben wir die Ansiedlung von neuen Betrieben in Muttenz bis 1950 als bescheiden bezeichnet. Nun schlugen auch in Muttenz die «fetten Jahre» durch. Ein Vergleich der Ragionenbücher für die Jahre von ca. 1955 bis 1970 zeigt für Muttenz eine rasante Zunahme von 36 Eintragungen auf 354 Eintragungen (1970). Dabei blieb die bisher festgestellte, breite Diversifikation bestehen.
Tab.5: Zunahme von industriellen Betrieben von 1955 – 1970
Betrieb | 1955 | 1970 |
Textilindustrie | 0 | 1 |
Metalle/Maschinen | 11 | 19 |
Elektrische Apparate | 2 | 6 |
Produktion von chem. Produkten | 6 | 16 |
Nahrungs- und Genussmittelindustrie | 7 | 7 |
Industrie von Holz/Papier | 8 | 8 |
Industrie von Erden und Steinen | 2 | 7 |
Neu stiessen im Ragionenbuch 1970 auch Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe dazu.
Als Gewerbebetriebe waren 1970 eingetragen:
Tab. 6: Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe 1970
(summarisch)
Gewerbebetriebe | Anzahl Betriebe 1970 |
Baugewerbe | 35 |
Gartenbau | 12 |
Reparaturgewerbe | 9 |
Gastgewerbe | 24 |
Spedition/Transport/Lager | 23 |
Übriges Gewerbe | 36, davon 2 Druckereien |
Dienstleistungsbetriebe | |
Detailhandelsbetriebe | 47 |
Engroshandelsbetriebe | 24 |
Betriebe für Verwaltungen und Beratungen |
22 |
Die Schwerpunkte der Industrie lagen bei der Metall-, Maschinen- und Apparateindustrie sowie bei der chemischen Industrie, alles Exportindustrien. Die Schwerpunkte beim Gewerbe lagen beim Bau, beim Gartenbau und beim Speditions-, Transport- und Lagergewerbe. Die Fluktuation von angesiedelten und abgegangenen Betrieben zwischen 1955 und 1970 war trotz der Boomjahre bis 1970 relativ gering. Von den 36 im Jahre 1955 erwähnten Betrieben existierten 1970 noch deren 26, was einer Fluktuationsrate von «nur» 28 % entspricht.
Um auch die Entwicklung in den einzelnen Industrie- und Wirtschaftsquartieren darstellen zu können, haben wir nach den obigen Schwerpunkten und auch nach dem Zufallsprinzip im Ragionenbuch aus der Gesamtzahl von 121 neuen Betrieben (1950 – 60) und von 129 neuen Betrieben (1960 – 70) je 32 Betriebe pro Jahrzehnt ausgewählt. Dabei beziehen sich in der folgenden Aufstellung die Zahlen in Klammern hinter den Quartieren jeweils auf die Anzahl Betriebe des Jahres 1955. Die Klammerzahlen hinter den einzelnen Branchen zeigen die 2007 noch existierenden Firmen an.
Entwicklung der Gewerbequartiere
Für das Jahr 1970 sieht nun mit dieser Stichprobe die Verteilung der Unternehmen auf die einzelnen Quartiere (s. Karte) in Muttenz folgendermassen aus:
Freuler
Im Freulerquartier (1)1 sind zwischen 1950 – 1970, alle mit dem Jahr 1957, drei Namen an der gleichen Adresse verzeichnet: Graether, Vitra sowie Fehlbaum. Die Firma Graether begann 1906 in Basel einen Betrieb für Ladenbau- und Schaufenstereinrichtungen. Um 1950 verlegten die damaligen Geschäftsleiter W. und F. Fehlbaum, Büromöbel, ihren Betrieb nach Muttenz und gründeten hier zusätzlich die Firma Vitra AG Muttenz. Als Exportfirma wollten sie auch ein Standbein im übrigen Europa haben. Daher eröffneten sie 1957 in Grenzach eine Filiale. 1969 verlegten sie den Hauptsitz nach Weil, schlossen das Werk Grenzach, behielten aber den Standort Muttenz bei. Als Muttergesellschaft der heutigen Vitra fungiert die Fehlbaum Holding AG Basel. 1962 stiess zu Vitra auch noch die heute nicht mehr bestehende Arias AG, Herstellung von Kunststoffartikeln, Bau und Vertrieb von Apparaten der Lufttechnik.
Schänzli
Im Schänzligebiet (7) waren in den Jahren 1950 – 70 in der Stichprobe keine Zuzüge zu verzeichnen.
Muttenz West
In Muttenz West (17) dagegen richteten sich in dieser Zeitspanne gemäss Stichprobe total 29 Betriebe neu ein.
Tab. 7: Veränderung der Betriebszahlen von 1950 - 1970 in Muttenz West
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Anzahl neue Betriebe 1950 – 70 |
Bestand 1950 |
Geschäfte des Auto- und Transportgewerbes |
9 | 3 |
Bauunternehmungen | 2 | 0 |
Plattenlegerfirma | 1 | 1 |
Fotogeschäfte | 2 | 1 |
Betriebe der Metall-, Maschinen- und Elektrobranche |
5 | 1 |
Unternehmen für chemische Produkte |
3 | 0 |
Gärtnereien | 2 | 0 |
Handelsbetriebe | 3 | 1 |
Dazu gesellte sich die Textilunternehmung Posag (Posamente), welche sich seit 2008 in Zofingen befindet, und die heute noch bestehende Hardwasser AG.
Als besonders interessante Firma aus jener Zeit muss Moser-Glaser & Co. AG genannt werden. Das Unternehmen, welches in Basel 1914 gegründet wurde, verlegte seinen Sitz 1946 in das neu errichtete Werk in Muttenz. Es fabrizierte zuerst vor allem Transformatoren und elektrische Apparate. In den 1980er-Jahren wandelte sich das Unternehmen in eine High-Tech-Firma um. 1990 versuchte sie einen Plasmaofen auf den Markt zu bringen, in dem toxische Abfälle verbrannt werden konnten. Im Ragionenbuch 2003 finden wir die Firma in Nachlass-Liquidation.
Muttenz Ost
In Muttenz Ost (11) waren gemäss Stichprobe nur 8 Zuzüge zu verzeichnen.
Tab. 8: Veränderung der Betriebszahlen von 1950 – 1970 in Muttenz Ost
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Anzahl neue Betriebe 1950 – 70 |
Bestand 1950 |
Betrieb für chemische Produkte | 4 | 1 |
Unternehmen der Metall-, Maschinen und Elektrobranche |
2 | 2 |
Handelsbetrieb | 1 | 0 |
Fotogeschäfte | 1 | 1 |
Auch hier ist eine Firma speziell erwähnenswert: Hch. Bertrams AG, Fabrik für Maschinen und Apparate. Diese war bereits ab 1894 in Basel ansässig und verarbeitete vorerst Feinbleche zu Ofenrohren und Spenglerfabrikaten. Während des Ersten Weltkrieges spezialisierte sie sich auf die Herstellung von elektrisch beheizten Warmwasserboilern.
Dazu entwickelte sie eine besondere Schweisstechnik für Eisen und Stahl. Diese Neuerungen gaben der Firma besonders nach 1945 dermassen Auftrieb, dass sie zwischen 1950 und 1960 den Standort Basel sukzessive aufgab und im Bizenenquartier an der Froburgstrasse ein neues, grosses Fabrikgelände überbaute. Dank der Nähe zur chemischen Industrie konzen-trierte sich das Unternehmen auf den Bau von schweren Kesseln und Rührwerksapparaten. Der Geleiseanschluss an den Bahnhof Muttenz gewährleistete die reibungslose Zufuhr der Rohmaterialien und den Abtransport der oft für das Ausland bestimmten Fertigprodukte.
Auch diese Firma erfuhr Veränderungen in den 1990er-Jahren. Das ursprüngliche «Bertramsareal» in Muttenz - wie übrigens auch in Basel - wird heute anderweitig genutzt. Die Firma befindet sich heute als Bertrams Chemieanlagen AG an der Eptingerstrasse im gleichen Quartier. Bertrams besitzt u.a. auch eine Filiale in Pratteln.
Zentrum und Muttenz Süd
Im Zentrum und in Muttenz Süd (11) zählten wir gemäss Stichprobe 15 Neuzuzüge.
Tab. 9: Veränderung der Betriebszahlen von 1950 – 1970 im Zentrum und in Muttenz Süd
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Anzahl neue Betriebe 1950 – 70 |
Bestand 1950 |
Transportunternehmen | 1 | 1 |
Bauunternehmen | 1 | 0 |
Ausbaugewerbe | 4 | 3 |
Buchdruckerei | 1 | 1 |
Betriebe der Metall-, Maschinenund Elektrobranche |
4 | 1 |
Gärtnereien | 3 | 0 |
Filiale der Basellandschaftlichen Kantonalbank | 2 | 0 |
Schweizerhalle
Auch in Schweizerhalle (2) waren Veränderungen zu verzeichnen. Als selbstständige Tochtergesellschaft «Geigy- Werke Schweizerhalle AG» konnte diese schon 1947 das Hofgut Pfeffingen erwerben. Dort richtete sie Versuchsbetriebe für Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel ein. Ab 1955 wurde bei Geigy-Schweizerhalle auch Ausbildung betrieben. Bereits seit 1953 bestand eine erste Klasse von Chemiefacharbeiter-Lehrlingen als neuer Lehrberuf. Dazu kamen Chemiekurse für Meister der Fabrikationsbetriebe. 1956 konnte der erste Lehrlingskurs für Betriebslaboranten abgeschlossen werden. Da sich das Geigy-Areal in einem Senkungsgebiet befand – durch den Saline-Salzabbau entstanden unterirdische Hohlräume – musste Geigy ihre neue Personalkantine dort erdbebensicher bauen.
Sandoz (ab 1946 aktiv in Schweizerhalle) konnte 1951 von Geigy das Areal der Fluorfabrik erwerben und verwendete es als «Werk Ost». Zudem verlegte sie sukzessive die Produktion des Chemikaliendepartementes in die Werke Süd und Ost. Hergestellt wurden Zwischenprodukte für Textilien, Papier und Kosmetika inkl. synthetischer Waschgrundmittel, dazu Produkte für chemische Faserumwandlung und agrochemische Erzeugnisse.
Durch die Fusion von Sandoz mit Durand-Huguenin 1968 wurden auch wenige Teile dieser Firma in Schweizerhalle integriert. 1970 erfolgte erneut eine Fusion in der chemischen Industrie: Geigy und CIBA schlossen sich zur CIBA-Geigy zusammen. Dadurch kam nun auch der traditionsreiche Name CIBA nach Schweizerhalle.
Auhafen
Im Auhafen (1) konnte 1954 die Ausbauetappe II vorläufig beendet werden. Nun richteten sich auch entsprechende Hafenfirmen definitiv ein. Nach der AVIA erschienen:
- 1953 die Ultra Brag sowie die Brag Umschlag,
- 1954 die AVIA Tankschiff AG,
- 1956 die Tanklager AG,
- 1959/61 die Sihelco (Aufbereitung von Mineralien und anderen Rohstoffen),
- 1963 die Zuckermühle AG Muttenz und endlich
- 1967 die Haniel AG.
Ausser Sihelco, die ihren Sitz neu in Birsfelden hat, und Haniel bestehen heute alle übrigen Unternehmungen noch im Auhafen. Als erste Firma soll hier die Sihelco AG besonders vorgestellt werden. Ihr Geschäftszweck war «Gewinnung und Aufbereitung von Mineralien und Rohstoffen insbesondere mit Quarzsand, sowie Handel mit allen Roh- und Fertigwaren ». Gegründet wurde sie 1959 als Gemeinschaftsunternehmung von westdeutschen, belgischen, französischen und schweizerischen Interessenten. Auf einem Gelände der damaligen Schweizerischen Reederei AG im Auhafen entstand im Baurecht eine moderne Anlage, der zu Lagerungszwecken Silos zugesellt waren. Die Rohstoffe kamen auf dem Rheinweg in den Auhafen. Dort sorgte eine Mahl- und Trocknungsanlage wie auch eine Siebanlage zur Trennung von unterschiedlichen Körnungen mit Förderbändern, dass die so aufbereiteten Produkte mittels Spezialwagen weiterverschickt werden konnten. 1961 konnte die Anlage in Betrieb genommen werden. In einem zweiten Bauabschnitt wurden 1963 Hochsiloanlagen mit acht in Zweierreihe aufgestellten Betonzylindern gebaut. Bei einer Höhe von 56 m beträgt das Fassungsvermögen dieser Anlage um die 10 000 t Trockensand.
Als zweiter Rheinhafenbetrieb soll zudem die Zuckermühle AG Muttenz dargestellt werden. Schon nach dem Ersten Weltkrieg versuchte die Zuckermühle Rupperswil, auch jenseits des Juras im Bereich Basel eine Fabrikationsanlage zu errichten. 1927 konnte sie vom damaligen Inhaber Friedrich Balz dessen Zuckermühle in Läufelfingen erwerben. Aus internen Gründen wurde diese zu einer selbstständigen Tochter, der «Zuckermühle Läufelfingen AG» gemacht. In den 1930er-Jahren veränderten sich die Zucker- Importgebiete. Der Hauptlieferant Tschechoslowakei wurde unsicher. Daher nahmen die Importe aus England zu. Diese Zuckerlieferungen kamen via Rheinschiff nach Basel. Zwischen 1838 und 1943 besass Läufelfingen deswegen ein Lagerhaus auf dem Basler Dreispitzareal. Mit dem Ausbau des Auhafens erhielt die Zuckermühle Läufelfingen Gelegenheit, direkt auf dem dortigen Areal im Baurecht ein Lagergebäude zu errichten. Der direkte Umschlag erfolgte durch die damalige Schweizerische Reederei AG. Mit dem Weiterausbau der Liegenschaften im Auhafen wurde der Standort Läufelfingen zu abseitig und daher 1963 aufgehoben. Heute sind im Auhafen dank Rationalisierung noch drei Mitarbeitende beschäftigt. Der Betrieb umfasst Lagerumschlag und Produktion von Feinkristallzucker in 1kg- und 25kg-Packungen. Ihren Geschäftssitz hat die Firma immer noch in Muttenz. Postadresse und Telefonnummer müssen jedoch unter «Birsfelden » gesucht werden.
Vom Auspendler- zum Einpendlerort
Zwischen 1950 und 1960 nahm die Bevölkerung von Muttenz von 7 125 auf 11 963 das heisst um 68 % zu. Im gleichen Zeitraum vermehrten sich die Arbeitsplätze noch stärker. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg ist Muttenz als typisches Auspendlerdorf mit weniger Arbeitsplätzen als wohnhaften Erwerbstätigen zu bezeichnen. Die Volkszählung von 1960 mit der ersten Pendlererfassung ergab neu bei 5 301 in Muttenz wohnhaften Erwerbstätigen 2 490 Wegpendler, jedoch bereits 2 960 Zupendler. Dazu wurden 2 811 Nichtpendler bei total 5 771 Arbeitsplätzen gezählt. Damit war ab 1960 für Muttenz der Wechsel vom ehemaligen Auspendler- zu einem immer wichtiger werdenden Einpendlerort vollzogen. Die dadurch grösser werdende zentrale wirtschaftliche Bedeutung von Muttenz in der Agglomeration zeigen auch die Pendlerzahlen von 1970 und 1980 an.
Tab. 10: Vergleich Pendlerzahlen 1970 und 1980
1970 | 1980 | |
Arbeitsplätze | 9 028 | 9 911 |
Wegpendler | 3 681 | 4 802 |
Zupendler | 5 494 | 6 512 |
Grenzgänger | 506 | *2 |
Betriebszählungen 1965 und 1975
Ein Vergleich der Betriebszählungen von 1939/55 mit
denjenigen von 1965 und 1975 soll nicht nur das Wachstum
an Unternehmen, sondern auch die Zunahme der Arbeitsplätze
zeigen.
Tab. 11: Betriebszählungen 1939 – 1975
1939 | 1955 | 1965 | 1975 | |
Anzahl Betriebe | 122 | 379 | 415 | 636 |
Anzahl Beschäftigte | 1058 | 4504 | 8221 | 10 644 |
Die Tabelle der Verteilung der Arbeitsplätze auf die drei Wirtschaftssektoren zeigt einen deutlichen Trend auf: Die Arbeitsplätze im Sektor III (Dienstleistungen) nehmen um 9 % zulasten des Sektors I (Land-, Forstwirschaft u.ä.) und vor allem des Sektors II (Produktion und Gewerbe) zu.
Tab. 12: Arbeitsplätze nach Wirtschaftssektoren in % der Beschäftigten 1965/1975
In % | 1965 | 1975 | Veränderung |
I. Sektor | 2 | 1 | -1 |
II. Sektor | 76 | 68 | -8 |
II. Sektor | 22 | 31 | -8 |
In der untenstehenden Tabelle wird die Entwicklung der einzelnen Branchen zwischen 1965 und 1975 dargestellt.
Tab. 13: Beschäftigte Sektor II und Sektor III nach Branchen 1965/1975
Beschäftigte II. Sektor | 1970 | 1980 |
Nahrungs- und Genussmittel | 297 | 108 |
Textilindustrie | 187 | 88 |
Holzindustrie und -gewerbe | 203 | 245 |
Chemische Produkte | 970 | 3 599 |
Metall-, Maschinen- und Elektroindustrie | 1 832 | 1 605 |
Baugewerbe | 908 | 827 |
Beschäftigte III. Sektor | ||
Handel, Banken, Versicherungen | 489 | 852 |
Verkehr, Post, Gastgewerbe | 941 | 1 451 |
Damit die Zähljahre 1965 und 1975 vergleichbar werden, haben wir für beide die Branchenbezeichnungen von 1965 übernommen. Zudem beschränkt sich dieser Vergleich nur auf die zahlenmässig wichtigsten Bereiche. Der Rest ist unter «Übriges» zusammengefasst, was nicht aussagekräftig ist und daher hier nicht aufgeführt wird.
Boom-Ende
Mit der 1973 einsetzenden Ölkrise – die OPEC-Staaten drosselten damals die Ölzufuhren in die Industrienationen auf ein nicht mehr erträgliches Mass – wurde auch für Muttenz der Nachkriegsboom gebrochen. Die Jahresteuerung stieg auf 12 %. 1975 brach dann die Konjunktur vollends ein und zeigte das endgültige Ende der Wachstumsperiode an. Das Bruttoinlandprodukt (BIP19) nahm um 1 % ab und die Arbeitslosigkeit stieg auf 7 %. Dass diese trotzdem relativ wenig spürbar war, verdankte sie ihrem «Export». Viele Arbeitslose waren Ausländer (Saisonniers!) und kehrten in ihre Heimat zurück. Dadurch wurden sie von der Arbeitslosenstatistik nicht erfasst. Der Bundesrat versuchte, durch Vermehrung der Geldmenge diese Rezession zu überwinden. 1976 senkte er die Zinssätze, um den Export wieder anzukurbeln. Nachdem der Schweizerfranken noch 1971 und 1972 (in den Boomjahren!) um insgesamt 14 % aufgewertet worden war, galt die Deutsche Mark 1978 sogar weniger als 80 Rappen und auch der Dollar musste gestützt werden. Bis 1980 konnte sich die Wirtschaft wieder etwas erholen. Die Inflation reduzierte sich auf 4 % und das BIP nahm jährlich wieder um 4 % zu
1 Die Zahlen in Klammern hinter den Quartieren geben jeweils die Anzahl Betriebe des Jahres 1955 an, die hinter den einzelnen Branchen die 2007 noch existierenden Firmen.
2 * Die entsprechende Zahl ist in der Statistik nicht vorhanden
aus: Muttenz zu Beginn des neuen Jahrtausends, 2009, S. 196-203, Autor: Dr. Heinz Polivka