Aus dem Jahresbericht 2018 Archäologie Baselland, S. 98-
Anlässlich der bauarchäologischen Untersuchung der Liegenschaften Hauptstrasse 42, 44 und 48 in Muttenz stiess die Archäologie Baselland auf einen ungewöhnlichen Fund: Im Dachstock des Gebäudes fanden sich drei mit Holznägeln gespickte Bretter, die in Zweitverwendung in einer Trennwand verbaut worden waren. Da man unlängst im aargauischen Laufenburg ähnliche Bretter als ausrangierte Schützenscheiben identifiziert hatte, lag der Schluss nahe, dass es sich auch im Falle von Muttenz um Bestandteile von solchen handelt.
Bretterwand im Dachstock des untersuchten Hauses. Ein Brett der Schützenscheiben ist rechts zu erkennen.
Bild Archäologie Baselland
Die Bretter verfügen einseitig über eine Anschrägung, die aber erst von der nachträglichen Einpassung in die Schräge des Dachraums stammen. Das aussagekräftigste Brett ist dasjenige mit einer schwarzen, kreisrunden Fläche – im Schützenwesen ‹das Schwarze› genannt – in deren Mitte ein rundes Bohrloch liegt. Dieses markiert das Zentrum der einstigen Schützenscheibe. Der äussere Rand lässt sich an beiden Enden des Brettes anhand einer leichten Rundung erkennen. Die Scheibe war folglich ursprünglich kreisrund. Ein weiteres, etwas kleineres Brett lässt sich links des zentralen Brettes anpassen, während das andere wohl von einer weiteren Schützenscheibe stammt.
Die geborgenen Bretter der Schützenscheiben mit ergänztem Scheibenbild von 1,40 Metern Durchmesser.
Bild Archäologie Baselland
Die Einschusslöcher wurden mit kleinen Holzdübeln verschlossen und diese bündig eingehämmert. Die Stopfhölzchen sind im Querschnitt quadratisch und von Hand zugespitzt. Mehrere Schichten weisser Tünche zeigen, dass die Bretter wiederholt verwendet worden sind, und bezeichnenderweise wurden die Einschüsse des letzten Schiessdurchgangs zwar noch verdübelt, aber nicht mehr übertüncht. quadratisch und von Hand zugespitzt.
Zur Frage der Datierung der Muttenzer Scheiben sind vier Kriterien in Betracht zu ziehen: Der bauliche Kontext, in dem die Scheiben aufgefunden worden sind, die Gestalt und die Ausmasse derselben, die nach Ausweis der Einschusslöcher verwendeten Waffentypen sowie die dendrochronologische Untersuchung des Scheibenholzes.
Der Baubefund lässt sich wie folgt deuten: Die untersuchte Liegenschaft wurde 1605 als Bauernhaus mit Mittertenn errichtet. Wahrscheinlich wurde bereits 1632 der Stall zu einem Wohnteil umgebaut, und es ist möglich, dass damals auch im Dachstock die notwendige Abtrennung mittels der Bretterwand erfolgte. Zu Gestalt und Ausmassen von Schützenscheiben geben uns mehrere zeitgenössische Darstellungen Auskunft. Sie zeigen seit dem 16. Jahrhundert runde Scheiben mit dem charakteristischen ‹Schwarzen› im Zentrum. Zu den Massen finden sich im 19. Jahrhundert schriftliche Überlieferungen. So legte der Kanton Basel 1830 fest: ‹Die Scheiben sollen 4½ Schuh Durchmesser haben.› Eine andere Quelle berichtet für die dieselbe Zeit: ‹Das Scheibenbild war stets rund und weiss gestrichen. Das Schwarze in der Kehrscheibe mass 16 Zoll.› Im Vergleich zu diesen Angaben misst die Muttenzer Scheibe zwar 1,40 Meter im Durchmesser, also in etwa die genannten 4½ Basler Schuh, das ‹Schwarze› aber nur 12 Zoll.
Detailaufnahmen von Vorder- und Rückseite des zentralen Scheibenbretts mit der Bemalung und den eingeklopften Dübeln.
Bild Archäologie Baselland
Die Verwendung der Dübel wird im Tiroler Schützenwesen des 19. Jahrhunderts übrigens wie folgt beschrieben: ‹Das Loch wird dann mit einem ‚Diebel‘, das heisst einem eigens zugerichteten Holzstopsel, der auf der einen Seite die Schussnummer trägt, zugeschlagen und von ihm bis an den Scheibenrand ein Strich mit dem Bleistift gezogen. Dazu kommt die betreffende Nummer, damit, wenn ein solcher ‚Diebel‘ angeschossen wird, die Nummer aufzufinden ist. Diese ‚Diebel‘ hängen geordnet an einer Schnur, und wenn ein Schuss fehl geht, wird der betreffende zur Seite gelegt.› Anderenorts wird die Messtechnik beschrieben: ‹Die Treffer wurden der Reihe nach, wie sie geschossen wurden, nummeriert und mit einem Zirkel abgestochen.›
Im Weiteren sind zur Datierung der Muttenzer Scheiben die früher üblichen Waffentypen beziehungsweise deren Kaliber zu berücksichtigen. Diebold Schilling illustriert um 1500 eine Schiessveranstaltung mit Feuerwaffen. In der Nordwestschweiz sind für das 16. Jahrhundert Schützengesellschaften für Feuerwaffen überliefert – aber auch noch für Armbrüste und Bögen. Für das Schiessen wurden zuerst Hakenbüchsen, dann Musketen verwendet, die alle über verschiedene Kaliber verfügten. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde im Schweizer Wehrwesen das Perkussionsgewehr eingeführt. Damit einher ging auch die Verwendung eines länglichen, standardisierten Geschosses anstelle der bisherigen Rundkugel.
Büchsenschiessen der Gesellen von Luzern und Uri. Eidgenössische Chronik des Luzerners Diebold Schilling, um 1513 (www.e-codices.ch).
Bild Archäologie Baselland
Die Bilanz der bisherigen Ausführungen ist ernüchternd: Keines der genannten Kriterien erlaubt zurzeit eine genaue Datierung der Muttenzer Schützenscheiben. Zumindest unter Berücksichtigung des Baubefunds wäre eine älteste Datierung der Scheiben vor das Jahr 1632 möglich. Da die Bretter mittels handgeschmiedeten Eisennägeln im Dachstock verbaut worden sind, dürften sie aber auch nicht jünger als das 19. Jahrhundert sein. Vielleicht erlaubt dereinst die Anwendung des letzten Kriteriums doch noch eine bessere Eingrenzung: Denn auf die dendrochronologische Untersuchung wurde bislang verzichtet, da die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass für die Scheiben Altholz verwendet worden war.
Bericht: Christoph Reding