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Teil 8: Engagement und Polemik

 "Lieblingsfeind" Landrat  Ruedin (Grütlianer, Muttenz)

Unter dem pathetischen Titel "Der Geduldsfaden droht zu brechen. Genossen, haltet Wache!" bringt der "Sozialdemokrat" am 15.3.21 folgende Einsendung: "Aus Muttenz wird uns geschrieben: Wie wenn er sich mit Hilfe der bourgeoisen Gesellschaft gleich dem römischen Catilina gegen uns Sozialdemokraten verschworen hätte, so benimmt sich der in der obersten Behörde unseres Kantons sitzende Landrat und Oberreaktionär Ruedin.

Seiltänzer nannte ihn unser Genosse Wetterwald aus Pratteln und der Obergrütlianer Ruedin findet noch den Mut, diesen Vorwurf zurückzuweisen, der doch nichts weniger angebracht war. 

Herr Ruedin! Sie haben im Landrat wieder deutlich gezeigt, welcher Richtung Sie angehören; nur wundert es uns, dass Sie sich noch Grütlianer nennen dürfen, denn bei Ihnen am wenigsten trifft das zu, und ihr Hauch des Lebens ist Ihnen entschieden nicht durch den Wind vom Rütli her eingegeben worden. Sie hätten allen Grund gehabt, dem Antrag Brodtbeck zuzustimmen. <gegen das Landratsreglement, welches von den Sozialdemokraten als "Maulkrattengesetz" bekämpft wurde>.Warum haben Sie das nicht getan? Sie sagten, weil sich die Linksparteien an Moskau und damit der Diktatur verschrieben hätten. (...) Sie schwaderten weiter: Leute, die nicht auf demokratischem Boden stehen, haben keinen Platz in den Behörden. Mit diesem Ausspruch geben Sie doch offen zu, dass Sie kein Arbeiterfreund und auch kein Sozialist sind, sondern dass Sie sich eigentlich der Demokratischen Fortschrittspartei und damit der Bourgeoisie bereits verschrieben haben. (...)" 

An der Parteiversammlung vom 1. April 1921 steht das Gemeindebudget zur Diskussion. Die SP will gegen die Ausgaben für den Zuchtstier interpellieren und lehnt auch den Beitrag an die Schützengesellschaft ab. Unter Diversem gibt Präsident Honegger bekannt, dass die Sektion zusammen mit der lokalen Kommunistischen Partei den Zuschlag für die Organisation der Bezirksmaifeier bekommen hat. 

Der Bericht von der Gemeindeversammlung hält fest: "Von unserem Votanten, Genosse Gemeinderat Schmid, wurde im Namen der Sozialdemokratischen Partei der Antrag gestellt, es sei der ausserordentliche Beitrag von 600 Fr. an die Schützengesellschaft zu streichen. (...) Wenn wir gegen den Militarismus kämpfen wollen, so müssen wir eben unten abzurüsten beginnen, wenn doch von höherer Warte aus nichts geschehe, und dabei sei es eben nur angebracht, dass jegliche Unterstützung für Militärzwecke ausgemerzt werde. (...) (SD 9.4.21) 

Die 1.Mai-Bezirksfeier 1921 in Muttenz schildert  "L" <wahrscheinlich OKPräsident Jakob Leuenberger> folgendermassen:

"In geordneter, würdiger Weise wickelte sich die Maifeier in Muttenz ab. Nachmittags 2 Uhr versammelten sich die Vereine und Parteien auf dem Schulplatze. Voran vier Sektionen Arbeiterradfahrer ("rote Kavallerie") mit zirka hundert Mann. Nachfolgend eine Kindergruppe (250 Kinder) von den Sektionen Birsfelden, Münchenstein und Muttenz. Dann folgten die Gewerkschaften, Arbeitermännerchöre, Arbeiterturnvereine und am Schlusse die kommunistischen und sozialistischen Parteien mit zirka 300 Mann. Ein schöner Zug bewegte sich durch die Hauptstrasse unseres Dorfes und machte auf die spalierbildende Bevölkerung einen erhebenden Eindruck, umso mehr, als der Zug ohne Tambouren und Blechmusik, also in ganz bescheidener Weise ausstaffiert war. (...)" (SD 3.5.21)

Das Organisationstalent von Leuenberger bleibt den Genossen positiv im Gedächtnis. Als an der Parteiversammlung vom 20. Mai 1921 Präsident Ernst Honegger „infolge Familienverhältnissen“ seine Demission gibt, wählen sie  Jakob Leuenberger zum neuen Präsidenten und Gemeinderat Gottfried Schwob als Vizepräsidenten.

Leuenberger beginnt auch im Landrat eine immer aktivere Rolle zu spielen. Beim Geschäft "Benutzung von Strassenterrain zum Bau und Betrieb der basellandschaftlichen Überlandbahn" rügt <er>, dass die Regierung, bei der Konzessionserteilung nicht Vorbehalte gemacht habe in Bezug auf die Birsbrücke. Ein Unglück sei hier nicht zu vermeiden bei dieser starken Nutzung, und er macht die Regierung für eventuelle Unglücksfälle verantwortlich." Der Baudirektor sichert vorsichtiges Fahren auf der Brücke zu, "da dies tatsächlich die gefährlichste Stelle sei." (SD 12.5.21) 

An der nächsten Landratssitzung moniert Leuenberger den Zustand öffentlicher Gebäude. Das Amtszimmer des Liestaler Statthalters gleiche einer "Räuberhöhle", auch die Amtsgefängnisse seien in einem miserablen Zustand. Dem stimmt der Baudirektor zu, verweist aber auf Planungen

(Amtshaus) und auf die finanziellen Engpässe. Und Leuenberger weiter: Die Eindohlung des Muttenzer Dorfbaches sollte an die Hand genommen werden, "in Anbetracht dessen, dass schon Fuhrwerke und Personen in diesen Bach gefallen sind, und damit zugleich das Strassenterrain erweitert werden kann." (SD 26.5.21) 

Während die SP-Genossen, so machen es die diversen Artikel im Parteiorgan glauben, recht aktiv sind, scheint bei den Kommunisten der Schwung seit der Gründung schnell verflogen zu sein. Der "Sozialdemokrat" vermeldet am 27. Mai 1921: "Wie uns bekannt wird, soll Rud. Rietmann, der bei der Trennungsfrage der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei in unserem Dorf eine Hauptrolle spielte, wieder aus der Kommunistischen Partei, Sektion Muttenz-Freidorf, ausgetreten sein, und zwar mit der Begründung, dass er zur Verwirklichung der kommunistischen Postulate und Ziele kein Vertrauen mehr habe." <Diese Meldung wird später bestätigt.>

Von der Hamsterei einer Spezereihändlerin

"Die Hamsterei und Wucherei kommt in unserem Dorf auch zutage. Bei einer gewissen Spezereihändlerin, welche nach dem Tode ihres Bruders mit dessen Frau teilen sollte und bei der das Inventar aufgenommen wurde, fand der Inventurbeamte auf dem Estrich für ungefähr 10'000 Fr. Waren, welche sie von 1915 an aufgespeichert hatte. Diese Verkäuferin meinte wahrscheinlich, der Preis der Ware würde noch mehr steigen, damit sie einen hohen Profit in ihre Tasche stecken könne. Die Arbeiterfamilien wären froh gewesen, wenn sie während der Rationierung ein bisschen mehr bekommen hätten - und diese lässt ihre Ware auf dem Estrich zugrunde gehen!" (SD 27.5.21)

Keine Bedienung - wegen eines Maibändels

In der gleichen Ausgabe kommt folgende Begebenheit zur Sprache: "Am 1. Mai kam ein Mädchen in eine Spezereihandlung und Bäckerei Th., der sich gegenwärtig in Muttenz eingebürgert hat, mit einem sozialdemokratischen Maibändel eingesteckt und verlangte irgendetwas. Die Verkäuferin sagte zu ihr, sie gebe ihr nichts, sie solle kommen, wenn sie kein "Sozibändeli" anhabe. Die Arbeiter und Arbeiterfrauen sollten sich solche Dinge merken und Privathandlungen so gut wie möglich meiden. Besorgt eure Einkäufe im Konsum!

Am 24. Mai steht wiederum Genosse Landrat  Leuenberger im Rampenlicht, diesmal an der Gemeindeversammlung in Muttenz. "Zu Traktandum 5, Verschiedenes, äusserte sich Genosse Landrat Leuenberger, indem er gegen die Behandlung der Sozialdemokratischen Partei seitens des Bürgertums ganz energisch Protest einlegte. <Von den 5 von der SP für zwei Gremien nominierten Kandidaten wurde nur einer gewählt.> Da fand es natürlich unser bekannter Dr. Ramstein für angebracht, gegen den Protest seitens unseres Genossen Leuenberger zu protestieren(...), indem er sagte, eine Propagandarede (...) gehöre nicht an die Gemeindeversammlung, sondern an einen andern Ort (...) Hochgelahrter Herr Doktor! Was würden Sie dazu sagen, wenn die Fortschrittspartei (...) in Muttenz in Minderheit wäre? Wohl das Gegenteil von dem, was Sie uns gegenüber geäussert haben, nicht wahr?"

An der Parteiversammlung vom 11. Juni 1921 referiert Genosse Troller Albert über Zweck und Tätigkeit der Genossenschaftsunternehmungen VSK und ACV. Er empfiehlt den Mitgliedern, ihre Einkäufe im ACV zu tätigen. Dies umso mehr aufgrund der Geschichte mit dem Maibändel. Der Präsident empfiehlt den Anwesend auch, die Produkte der Firma Bally wegen der Behandlung der Arbeiterschaft zu boykottieren. Unter Diversem wird bekannt, das einige Genossen im Begriff sind, eine Arbeitermusik zu gründen.

Im Juni 1921 gerät die Firma Durtschi ins Visier der Genossen. Sie realisiert die Kabelleitung vom Zeughaus Basel ins Freidorf. Ob sich der Chef wohl bei seinen Vorausberechnungen geirrt habe und darum bei den Löhnen sparen wolle, munkelt der Einsender. "Vor uns liegt ein Zahltagscouvert eines seiner Arbeiter, welcher sage und schreibe vom 3. bis 12. Mai inklusive, also innert 10 Tagen und bei zehnstündiger Arbeitszeit 80 Franken bezogen hat. (...)" (SD 25.6.21)

Pünktlich auf den Nationalfeiertag erscheint im "Sozialdemokrat" ein Beitrag unter dem Titel "Musterpatrioten": "In der Dachpappe Muttenz, Weber & Co, wurde dieser Tage der Arbeiterschaft durch Anschlag bekannt gegeben, dass die Löhne ab 1. August, dem Tag der Bundesfeier, um 10 Prozent gekürzt werden. Die billige Lebenshaltung soll dazu Anlass geben. Diese trifft natürlich nur für die Arbeiter zu, für die Unternehmer ist sie im Gegenteil gestiegen, daher soll mehr Profit herausgewirtschaftet werden."

Das Thema Arbeitslosigkeit beschäftigt den Landrat. Auf Begehren von 14 sozialdemokratischen Landräten tritt der Rat zu einer ausserordentlichen Sitzung betreffend dieses Problems zusammen. 

Der "Sozialdemokrat" berichtet unter dem Titel "Unangenehme Stunden": "Die Genossen Surbeck, Moroff und Dr. Brodbeck haben einmal mit aller Gründlichkeit in die Liederlichkeit hineingeleuchtet, wie die Arbeitslosen in unserem Kanton behandelt werden. (...)" (SD 2.9.21)

Die Arbeitslosenzahlen Stand 27.8.21 nennt der "Sozialdemokrat" mit rund 5'500 Betroffenen im Baselbiet.

An der Parteiversammlung vom 17. September 1921 wird bekannt, dass die Sammlung für das hungernde Russland  in Muttenz den schönen Betrag von CHF 163 erbracht hat. Unter Verschiedenes informiert Genosse Jakob Leuenberger über das Thema Arbeitslosigkeit. Das Protokoll hält fest, dass beschlossen wird, „mit einem Gesuch an den Gemeinderat zu gelangen, um für Arbeitslose Steuererlass oder doch Steuerermässigung zu bewirken.

Im September bewegen sich auch die Betroffenen, indem in Muttenz zwei Versammlungen von Arbeitslosen durchgeführt werden.(SD 10.9.21 und 27.9.21)

In Basel wird aufgerufen für eine Demonstration gegen die Zoll- und Handelspolitik des Bundesrates sowie gegen die "Lex Häberlin" (Einschränkung der Meinungsfreiheit) und gegen das Elend der ca. 150'000 Arbeitslosen in der Schweiz. (SD 29.9.21)

 

An der Parteiversammlung vom 7. Oktober 1921 wird bekannt, dass der Gemeinderat eine Antwort auf das Gesuch der SP betr. Steuer-Erlass resp. Ermässigung für Arbeitslose gegeben hat, die unbefriedigend ausgefallen ist. Es wird beschlossen, eine Rückantwort an den Gemeinderat zu senden. Während anderthalb Stunden hält Genosse Landrat Surbeck aus Binningen ein Referat über die Wucherzölle. „Der Referent erklärte uns, dass die Wucherzölle, die der Bundesrat uns so eigenmächtig auferlegt hat, auf die Arbeiterschaft sehr peinlich <schmerzvoll> und auf längere Zeit unerträglich wirken und dadurch Preisaufbau statt Preisabbau bedingen.“

<Damit endet das erste Protokollbuch der SP Muttenz.>

Leuenberger bleibt seiner Idee eines Steuererlasses für Benachteiligte treu und reicht im Landrat eine entsprechende Interpellation ein. (SD 13.10.21)

Bewegung bei der Arbeitslosenfrage in Muttenz: Die

Gemeindeversammlung beschliesst Arbeitsbeschaffung für die Betroffenen, u.a. durch Weiterführung der Eindohlung des Dorfbaches. (SD 29.10.21) Der Polemik gegen Personen bleibt die SP weiterhin treu, diesmal trifft es Gemeinderat und Baumeister Eglin. Es geht um die militärische Behandlung von Arbeitslosen, die Notstandsarbeiten ausführen. "Nach Aussagen von solchen Arbeitern soll Eglin gleich am Anfang, d.h. zur Einleitung seines militärischen Drills erklärt haben, wenn sich irgendjemand seinen Anordnungen im geringsten widerstehe oder bei irgendeinem Befehl widerrede, der fliege hoch. - Nun, Herr Eglin, diese "Flüge" werden naturgemäss nicht so leicht vonstatten gehen, da wird sich der Arbeiter auch ein wenig zur Wehr setzt. Wir wollen dem aber schon jetzt vorbeugen, indem wir Ihnen sagen, Sie mögen sich am Schluss dieses oder vielleicht das nächste Jahr im Flugwesen nach Ihrem System und nach Ihrer Taktik ausbilden, damit Sie dann Ende 1923 als aus- und eingebildeter Pilot mitfliegen können." (SD 2.11.21) 

Ein Postulat der SP steht im Dezember 1921 zur Abstimmung <im Kanton>, die Aufhebung des Progressions-Verbots für Gemeinden. Die Muttenzer Genossen werben vehement dafür. "Unsere Gemeinde hat schon während der Beratung und Genehmigung unseres neuen Steuerreglements, welches 1921 geschaffen wurde, und welches auf 1. Januar 1922 in Kraft tritt, die Wichtigkeit der Progression für unsere Gemeinde anerkannt und in diesem Reglement aufgenommen. Diese Bestimmung ist uns aber von der Regierung gestützt auf den oben zitierten Artikel 46 <Progressionsverbot> wieder gestrichen worden. (...)" (SD 9.12.21)

Der Arbeitertag in Muttenz , der die Solidarität der Arbeiterschaft mit den Arbeitslosen hervorheben will, beschliesst ein aktionsreiches Jahr 1921 der SP Muttenz.

Die „Arbeiterzeitung" vom 19. Dezember 1921 meldet folgende Beschlüsse der 300 Anwesenden Genossen. "Die Forderungen der Arbeitslosen als diejenigen der Gesamtarbeiterschaft anzuerkennen und alles zu tun, um die Behörden zu zwingen, diesen zu entsprechen. Den Arbeitslosen wird die vollste Solidarität und grösstmögliche Unterstützung zugesichert. Um den parlamentarischen Kampf in Kanton und Gemeinde zu unterstützen, werden Demonstrationen der Gesamtarbeiterschaft, Arbeitseinstellungen in Aussicht genommen. Zur Durchführung der Forderungen bilden die beiden politischen Parteien <SP und KP> und das kantonale Gewerkschaftskartell eine gemeinsame Kampfleitung, die alle weiteren Schritte zu unternehmen hat. Ein Kampffonds soll geschaffen werden."   

Die in Muttenz beschlossene Resolution protestiert gegen Lohnabbau und Unterlaufung der 48-Stunden-Woche, kritisiert die Zoll- und Wirtschaftspolitik der Bundesbehörden und wendet sich gegen die Lex Häberlin ("Zuchthausgesetz"). "Ferner erhebt die Versammlung schärfsten Protest gegen die in unserem Kanton herrschenden miserablen Zustände in Bezug auf die Arbeitslosenfürsorge und verpflichtet sich, alles zu tun und alle Mittel anzuwenden, um das Los der Arbeitslosen so viel als möglich zu erleichtern."