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Teil 5: Erste Erfolge trotz Bürgerblock 

Das Geschäftsjahr 1919

An der GV vom 9. Januar 1919 wird Rudolf Oberer zum neuen Präsidenten gewählt. Weil die Geschäfte während der Grippewelle stockten, finden insgesamt vier Kommissionssitzungen im Januar und Februar 1919 statt. Am 13. Februar beschliessen die Genossen, zugunsten der Opfer des Landesstreiks CHF 50 aus der Parteikasse zu zahlen, trotz Bedenken des Vizepräsidenten "wegen Strapazierung der Kasse". 

Am 9.3.19 findet der von Genosse Leuenberger organisierte gemütliche Nachmittag der SP Muttenz im Restaurant Bären statt. Neben einer Ansprache von Vorwärts-Redaktor „Genosse Grossrat Schneider“ erfreuen musikalische Darbietungen der Kapelle Schänzli, des Doppelquartetts des Eisenbahner-Chors, eine Velopyramide des Arbeiter-Radfahrervereins und ein Theaterstück „Im Arrest“ die Teilnehmenden.  

Im Frühling 1919 erfolgt der Zusammenschluss der Freisinnigen Volkspartei mit der Volkswirtschaftlich-Demokratischen Partei zur „Demokratischen Fortschrittspartei“. Auf Einladung des bürgerlich dominierten Gemeinderates hält National – und Landrat Dr. Seiler in Muttenz einen öffentlichen Vortrag zu dieser Fusion. Als Gegenreferent darf Genosse Vogel aus Pratteln auftreten. Während Seiler vor der Bolschewisierung der Schweiz in Form einer Schreckensherrschaft warnt, weist Vogel auf die sozialen Ungerechtigkeiten hin, deren Abschaffung die Bürgerlichen versprochen hätten und wo die Arbeiterschaft nun Taten sehen möchte.( BV, 20.5.19) 

Sozusagen als Gegenveranstaltung organisiert die SP am 31. Mai eine öffentliche Veranstaltung, an der Dr. Welti aus Basel über Ziel und Zweck der sozialdemokratischen Arbeiterschaft  referiert. Und sie unterstützt die Propaganda zu einem Vortrag eines „Herrn Herzog“ mit dem Titel „Was führte mich zur heutigen religiösen und politischen Überzeugung“ <nämlich zum Sozialismus>. (BV 13.6.19)

Erster politischer Erfolg in einer Landrats-Ersatzwahl

Genosse Leuenberger hat sich mit der Organisation des gemütlichen Nachmittags grosse Beachtung verdient und wird an der Versammlung vom 17.6.18 für die Ersatzwahl in den Landrat vorgeschlagen. Er lässt sich als Kandidat aufstellen, “mit einigen Bedenken, aber der Partei zuliebe“, wie das Protokoll erwähnt. Die SP führt diesen Wahlkampf mit grossem Einsatz und im Parteiblatt nicht ohne Polemik gegen Personen.

Der von der Fortschrittspartei portierte Gegenkandidat , Armenpfleger  E. Tschudin, kann am 28.6.19 im „Basler Vorwärts“ lesen: „Ein Genosse mit bescheidenem Einkommen, mit grosser Familie (8 Kindern), meldete sich bei der zuständigen Gemeindebehörde um Kartoffeln. Hierauf gab ihm Armenpfleger E. Tschudin, jetzt Landratskandidat der fortschrittlich-demokratischen Volkspartei zur Antwort, er habe ja die Kartoffeln vom letzten Winter noch nicht bezahlt. So speist Herr Tschudin als Mitglied der Armenbehörde arme Arbeiter, welche unter der Last einer grossen Familie und den von bürgerlicher Seite geschaffenen Kriegsverhältnissen seufzen, ab. Diese Machination sollte jeden rechtdenkenden Bürger veranlassen, am nächsten Sonntag punkt 1 Uhr im Wahllokal zu erscheinen und für den Kandidaten der Arbeiterschaft zu stimmen. (…)“

Am Wahlsonntag, den 29.Juni, wird dann tatsächlich Genosse Rangiermeister Jakob Leuenberger in geschlossener Gemeindeversammlung <die Stimmzettel werden erst im Saal verteilt> mit 192 Stimmen gewählt. Auf E. Tschudin entfallen 167 Stimmen sowie 17 auf weitere Personen.(BV 30.6.19) Zwei Artikel im „Basler Vorwärts“ zeigen, dass dieser Sieg der „Roten“ in Muttenz viel Staub aufwirbelt. Ein sich „Plato“ nennender Schreiber kommentiert: „Dass sich die „Fortschrittler“ über den Wahlausgang ärgern müssen, daran sind sie selber schuld, weil sie der Arbeiterschaft nichts gönnen.“ (BV 3.7.19) Und ein mit „-r-„ zeichnender Genosse doppelt nach: „Acht Tage sind verflossen, ohne dass sich die Gemüter des „Fortschritts“ abgeregt haben. Mit allerlei Ränken versuchen sie, den griechischen Korrespondenten <Plato> des „Basler Vorwärts“ zu ermitteln. (…) Wir vermeiden es, uns mit ihnen über nicht substantierte Angriffe einzulassen und ziehen es vor, in sieben Sprachen zu schweigen, solange es irgend angeht; werden aber die Herren zu frech, dann führen wir den Kampf mit allem Nachdruck und aller Rücksichtslosigkeit. (…)“ (BV 8.7.19)

Der Generalstreik in Basel

Am 30.7.19 meldet der „Basler Vorwärts“ einen Färberstreik, ausgelöst vor allem wegen der Haltung der Firma Clavel und Lindenmeyer. Nach einer Protestaktion einiger Färber wegen der tiefen Löhne sperrt sie die ganze Belegschaft aus. Auch ein vom Basler Regierungsrat eingesetztes Schiedsgericht kann die Parteien nicht einigen. In Solidarität mit den Angestellten der besagten Firma treten rund 1100 Färbereiarbeiter in ganz Basel in den Ausstand. Einen Tag später ruft das Aktionskomitee der Basler organisierten Arbeiter einen allgemeinen Streik aus. 

Das Komitee formuliert Zielsetzungen, die der ganzen notleidenden Arbeiterschaft dienen sollen: Senkung der Preise für Brot, Heizmaterial u.a., Massnahmen gegen Mietzinswucher, Erhöhung der Reallöhne. Der Streik wird durch ein Truppenaufgebot, dem auch Bürgerwehren zudienen, niedergeschlagen. Es kommen dabei 5 Menschen zu Tode. Am 8. August ruft der Arbeiterbund das Ende des Streiks aus. Das Ergebnis ist - ausser einer Lohnerhöhung für alle Textilarbeiter/innen von 10%  - ernüchternd. Keine Forderung des Arbeiterbundes wird erfüllt.

Jakob Leuenberger verteidigt im Landrat den Generalstreik in Basel.

„Leuenberger ist der Ansicht, die Streiks seien kein Staatsverbrechen. Der Staat solle dafür sorgen, dass die Arbeiter so bezahlt werden, dass sie damit auskommen können. Er hat die Überzeugung, dass es sich beim Generalstreik nicht um einen politischen Streik handelte. (…) Die Ursache am Streik waren zwei Grosskapitalisten. Es ist eine Irreführung, wenn behauptet wird, der Arbeiter arbeite nicht mehr gern. Sorge man für richtige Bezahlung und Behandlung des Arbeiters, dann werden die Zeiten wieder ruhiger. (…)“ (BV 28.8.19) 

Proporz-Initiative und 3. Internationale

An der Parteiversammlung vom 23.8.19 wird bekannt, dass der Gemeinderat eine Wohnungsbaukommission schaffen will, die sich der aktuellen Wohnungsnot annehmen soll. Zwei SP-Mitglieder werden vorgeschlagen. Genosse Leuenberger informiert darüber, dass nach Einführung des kantonalen Proporzes  „wir auch berechtigt sind, nach Art. 28 des neuen Wahlgesetzes den Gemeindeproporz zu verlangen. Dazu benötigen wir zirka 150 Unterschriften resp. 1/5 der stimmberechtigten Bürger.“ Die Versammlung beschliesst einstimmig eine Unterschriftenaktion. 

Am 16. Oktober wird bekannt, dass die Unterschriften beim Regierungsrat eingereicht sind. Dieser antwortet, dass das Begehren erst im nächsten Jahr in den Gemeindewahlen umgesetzt werden kann.

An der Parteiversammlung vom 13.9.19 steht die Urabstimmung der SP Schweiz über den Eintritt in die 3. Internationale im Mittelpunkt. Der Vorstand will den Ball tief halten und behandelt diese Frage im Rahmen einer längeren Traktandenliste. Nach einstündiger Diskussion mit Pro- und ContraVoten gibt es folgendes Ergebnis: Eingelegte Stimmen: 51, davon 20 für und 31 gegen den Eintritt. 

Am 16.9. teilt der „Basler Vorwärts“ mit, das provisorische Ergebnis der schweizweiten Urabstimmung bedeute ein Nein zum Beitritt zur kommunistischen Internationalen (Komintern), was Redaktor Schneider bedauert. Es wird noch mehr als ein Jahr vergehen, bis der Nicht-Beitritt nochmals diskutiert und in einer weiteren Urabstimmung beschlossen und besiegelt sein wird.

Nachruf auf einen Arbeiter

"Unsern Genossen zur gefl. Kenntnis, dass letzten Freitag, den 3. Okt. unser Mitglied Mäder Joh., Weichenwärter, wohnhaft im Schänzli, nach längerer Magenkrankheit aus unseren Reihen geschieden ist. Dieser ruhige Kämpfer war auch einer derjenigen, welche das Proletarierlos von Jugend an zu kosten bekamen. Im Jahre 1875 in Gurbrü (Laupen) geboren, musste er schon aus Mangel an Überfluss mit dem zehnten Lebensjahr zu einem Bauer von seinen Angehörigen weg, um sein Brot zu verdienen. Später arbeitete er in einer Erzgrube und dann in einer Giesserei, wo er dann krankheitshalber austrat. Nachdem er sich erholt hatte, trat er in Delsberg als Manövrist in den Staatsdienst, welchem er sich bis zum heutigen Abschied als Weichenwärter widmete. Selbstverständlich war er auch hier nicht auf Rosen gebettet, denn obige Kategorien haben bis heute auch immer um ein besseres Dasein zu kämpfen.

Im Jahre 1903 hatte er sich mit Anna Huber verheiratet; diese und vier minderjährige Kinder überlebten ihn; heute, wo sie ihn am nötigsten hätten, musste er von ihnen scheiden. Genossen, wenn unsere Einzüger bei euch vorsprechen betreffend Sterbebeitrag (50 Cts.), so tut euer möglichstes, denn hier ist es nötig, damit sich diese Frau mit ihren Kindern vorläufig über Wasser halten kann. (...)" (BV 7.10.19)

Nationalratswahlen und Lokales

An der Vorstands-Sitzung vom 16. Oktober 1919 nehmen die anstehenden Nationalratswahlen einen wichtigen Platz ein. Der Vorstand beschliesst, eine Kontrolle durchzuführen, um diejenigen, die bis 11 ½ Uhr nicht gestimmt haben, durch Radfahrer holen zu lassen. Der Vorstand des ArbeiterRadfahrervereins habe seine Zustimmung gegeben. Die Anstrengungen lohnen sich offensichtlich, mit Dr. Brodtbeck aus Pratteln wird Ende Oktober ein erster Baselbieter Sozialdemokrat  in den Nationalrat gewählt. 

An der Dezember-Gemeindeversammlung geht es um die Nachteuerungszulagen an Pfarrer, Lehrer und Gemeindeangestellte. Auf Antrag von Jakob Leuenberger wird anstelle einer dualen Lösung (CHF 600 für gehobene Berufe, 10 Prozent vom Lohn für tiefere Chargen) eine Gesamtlösung vorgeschlagen. Wie im Bericht von der Gemeindeversammlung ersichtlich ist, konnte Leuenberger die Anwesenden von seinen Ansichten überzeugen. „Mit einer gewissen Verlegenheit liess der Präsident endlich über die Angelegenheit abstimmen und die Anträge unserer Partei wurden mit allen gegen 7 Stimmen (…) angenommen.“ (BV 18.10.19)

Die Erfolge der Partei bei Wahlen und Abstimmungen nehmen im Laufe des Jahres 1919 zu. Die Partei sieht allerdings nicht nur ihre Erfolge als Magnet in der Mitgliederwerbung. Im „Basler Vorwärts“ schreibt unter dem Kürzel –i- ein Muttenzer Genosse: „In erfreulicher Weise können wir mitteilen, dass die Versammlung <vom 22.11.19>  fünf neue Genossen aufnehmen konnte; es darf dies als beste Antwort auf die Angriffe der bürgerlichen Reaktion gegen uns registriert werden. Ja, ja! Die Geister erwachen, und diejenigen, die sie heraufbeschworen haben, werden sie nicht mehr los. Es ist eine wahre Freude, wie die bürgerlichen Herrschaften unsere Propaganda besorgen, und darum möchten wir diesen Sykophanten zurufen: Nur weiter auf uns losgehauen, denn damit erhält unsere Partei auf die einfachsten Art und Weise den nötigen Zuwachs.“ (BV 25.11.19)

Die Generalversammlung vom 25. Januar 1920 findet „unter schwacher Beteiligung“ statt (laut Protokoll „38 Mann“). Anschliessend an den Jahresbericht der Partei referiert „Gewerbeinspektor Genosse Dr. Strub“ aus Basel über das Fabrik- und Arbeitszeitgesetz. Der Kassabericht spiegelt die zunehmenden Aktivitäten der SP Muttenz. Die Mitgliederbeiträge steigen auf CHF 538.10 bei Gesamteinnahmen von CHF 680.30 und Ausgaben von CHF 628.18. Da Präsident Oberer zurückgetreten ist, gibt es im Vorstand personelle Veränderungen. Präsident wird neu Ernst Honegger, unter Oberer Vizepräsident. Neuer Vizepräsident wird Genosse Landrat Leuenberger. 

Über die Lokalfrage gibt es eine ausgedehnte Diskussion. Eine Anfrage beim Gemeinderat hat ergeben, dass die Benützung des Gemeindesaals im Parterre an einem Samstag in Frage käme. Die Formulierung des Gemeinderates stösst aber auf Unwillen und es wird sogar die Befürchtung laut, dass dort eine Bespitzelung zu befürchten sei. So wird schliesslich beschlossen, den „Bären“ als Parteilokal zu behalten. 

Am 9.12. erscheint ein Artikel im „Basler Vorwärts“ über die geplante Überlandbahn von Basel nach Liestal, mit Verbindung zwischen Neuewelt und Muttenz. Es komme Leben in die Angelegenheit und mit der Ausführung werde nächstens begonnen, heisst es.

Zum ersten Mal führt die SP Muttenz zusammen mit dem Arbeiter Radfahrerverein eine gemeinsame Silvesterunterhaltung durch. Wie der „Basler Vorwärts“ meldet, geht der Abend unharmonisch aus: „Leider – es muss dies zur Orientierung der ganzen Einwohnerschaft gesagt werden – trat nach Mitternacht eine unliebsame Störung ein. Es machten sich nämlich gewisse Herrlein der andern Partei bemerkbar, die absolut kein Recht hatten, den Saal zu betreten. Der lodernde, aber begreifliche Zorn unserer Genossen stieg immer mehr bis zur Siedehitze. Durch die Unruhe veranlasst, ermahnte unser Genosse Herzog mit einigen anständigen Worten die Herren, den Saal verlassen zu wollen, da derselbe nur für die „Soz. Partei“ reserviert sei. Wohl hatte man die Worte gehört, aber nicht richtig eingeschätzt, wohl verzog man sich aus dem Saal, aber was geschah? Als Ruhe eingekehrt <war>, wurden unserem Genossen Lavater zum „Bären“ einige Scheiben eingeworfen. Es ist zu hoffen, dass diese tapferen Eidgenossen ausfindig gemacht werden können, damit wir sie ein andermal kennen. " (BV 7.1.20)