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aus: Muttenz zu Beginn des neuen Jahrtausends, 2009, S. 216-225, Autor: Peter Streckeisen

Alle Abbildungen aus «Muttenz zu Beginn des neuen Jahrtausends»

Mit der Untersuchung von Dr. Peter Streckeisen, Soziologe und Oberassistent von Prof. Dr. Ueli Mäder an der Universität Basel, wird ein Blick von aussen auf Muttenz und seine Vereine geworfen.

Untersuchungsmethoden
Zur Ergänzung der persönlich gesammelten Informationen und Unterlagen verschickte der Autor an alle Vereine, die auf der Muttenzer Vereinsliste stehen, einen Fragebogen. 44 Vereine, etwa die Hälfte der Angeschriebenen, haben den Fragebogen1 ausgefüllt und teilweise zusätzliche Unterlagen geschickt. Um die vielfältigen Angaben und Informationen besser einordnen zu können, führte der Autor mit Heiner Vogt, dem Präsidenten der Interessengemeinschaft Ortsvereine Muttenz ( IGOM), und mit dem Gemeindepräsidenten Peter Vogt, je ein ausführliches Gespräch.

TV Jugendriege mit Fahne
Abb. 1: TV Muttenz am Sportfest für Jung und Alt 2008.

Vereine in der heutigen Zeit
Die Vereine sind nicht nur in Muttenz ein Thema. Seit die UNO 2001 ein «Jahr der Freiwilligen» ausgerufen hat, wird in den Medien und in der Politik viel und intensiv über Freiwilligenarbeit und Vereine diskutiert. Es werden grosse Hoffnungen in die Vereine gesetzt. Sie gelten als Schutzwall gegen Individualismus und Egoismus, die sich überall ausbreiten; als Anker der lokalen Identität, der den Auswirkungen der Globalisierung trotzt; als Fundament der Demokratie; als Einrichtungen, die Aufgaben übernehmen könnten, die der Staat nicht (mehr) leisten kann; und als Instrumente einer «solidarischen» Gemeinschaft, die nicht am Profitdenken orientiert ist. Es wurde damit begonnen, die Freiwilligenarbeit systematisch zu untersuchen. Inzwischen liegen auch schon statistische Daten vor. Im Dezember 2007 wurde der erste schweizerische «Freiwilligen-Monitor» veröffentlicht.2 Darin kann nachgelesen werden, wie viele Menschen sich in Vereinen engagieren, aus welchen sozialen Schichten und Bevölkerungsgruppen sie kommen oder mit welchen Motivationen sie ihr Engagement verbinden. Ich werde meine Beobachtungen in Muttenz auch mit solchen statistischen Daten vergleichen.

Nach Angaben des Bundesamts für Statistik wurden im Jahr 2004 in der Schweiz 8 444 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit geleistet. Das sind über 1 000 Stunden pro Einwohnerin und Einwohner. Die Freiwilligenarbeit machte 8.8% (747 Millionen Stunden) davon aus. Der Löwenanteil der unbezahlten Arbeit besteht aus Haus- und Betreuungsarbeit, die mehrheitlich von Frauen verrichtet wird.  Das darf nicht vergessen werden, wenn von einer «solidarischen Gemeinschaft» die Rede ist – auch wenn ich hier nicht weiter auf diesen Aspekt eingehen kann. 25.3% der Bevölkerung waren aktiv in Vereinen engagiert, wobei dieser Anteil bei den Männern (29.9%) höher lag als bei den Frauen (20.9%). Dieser Unterschied ist vor allem auf die Sportvereine zurückzuführen, in denen 12% der Männer und 5.3% der Frauen aktiv waren.3

Anmerkungen
1 Die Vereinsliste ist auf der Internetseite der Gemeinde zu finden ( https://www.muttenz.ch/vereinsliste). Zum Zeitpunkt der Befragung (Dezember 2007) standen 89 Vereine auf dieser Liste. 2024 waren es 105 Einträge (Juni 2024).
2 Isabelle Stadelmann-Steffen, Markus Freitag und Marc Bühlmann: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2007. Zürich 2007.
3 Diese Angaben sind auf der Internetseite des Bundesamts für Statistik zu finden ( http://www.bfs.admin.ch): Themen > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Unbezahlte Arbeit.


 

 

 

 

 

 

 

Vereine in Muttenz
Eine grosse Vielfalt
Die Vereinslandschaft in Muttenz ist sehr vielfältig. Es gibt grosse Vereine, wie der Turnverein mit seinen 1350 Mitgliedern, und kleine, wie der Kegelklub National mit 8 Mitgliedern. Einige Vereine blicken auf eine sehr lange Tradition zurück, wie der seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende link Frauenverein, während andere noch ganz jung sind, zum Beispiel der 2006 gegründete link Kulturverein. In manchen Vereinen sind alle Mitglieder aktiv, wie etwa bei der link Theatergruppe Rattenfänger. Im Gegensatz dazu ist die link Gesellschaft pro Wartenberg ein Trägerverein, in dem nur der Vorstand aktiv ist (etwa 3 % der 650 Mitglieder); das Vereinsziel besteht in der Erhaltung der drei Burgruinen auf dem Wartenberg. Einige Vereine haben zahlreiche junge Mitglieder in ihren Reihen, andere sind etwas «überaltert». Es gibt einige Vereine wie die link Jugendmusik, der link Musikverein oder der link Turnverein, die sich bei Dorffesten stark engagieren und im Gemeindeleben sehr präsent sind. Viele andere dagegen begrenzen ihre Aktivitäten vorwiegend auf den Vereinszweck im engeren Sinn. Gewisse Vereine, wie der Frauen- und der Männerchor, richten sich an eine besondere Zielgruppe. Die meisten Vereine stehen hingegen sämtlichen interessierten Personen offen.

Ebenso gross sind die Unterschiede bei den offiziellen Vereinszielen. Jeder Verein hat seine eigenen Ziele. Um einen Überblick zu gewinnen, habe ich die Vertreter und Vertreterinnen der Vereine gebeten, ihren Verein einer von mehreren Kategorien zuzuordnen (Tabelle 1). Von den 44 Vereinen, die bei der Befragung mitgemacht haben, zählen sich 18 zu den kulturellen Vereinen und 11 zu den Sportvereinen. Das sind die Kategorien, die am meisten verbreitet sind. Allerdings haben 10 Vereine mehrere Kategorien angekreuzt. Die Zuordnung zu den Vereinskategorien ist demnach nicht immer eindeutig.

Tab. 1: Verschiedene Kategorien von Vereinen

Kulturelle Vereine 18
Sportvereine 11
Sozial-karitative Organisationen 8
Freizeitklubs 7
Politische Vereinigungen 4
Religiöse und spirituelle Organisationen 2
andere * 3

* 1 «Schulverein»; 1 «Autoverein»; 1 Verein im Bereich «Breitensport/Fitness»

Geschichten
Um das heutige Vereinsleben zu verstehen, ist es oft von Interesse, einen Blick auf die Geschichte der Vereine zu werfen. In der Vereinschronik des link Sportvereins4 steht  zum Beispiel, in Muttenz sei bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Fussball gespielt worden. «Als Kuriosum sei erwähnt, dass bei diesen Treffen meistens um ein Fass Bier gespielt wurde. In der Regel hatten so beide Parteien etwas davon, nur war der Verlierer der Leidtragende, da dieser die ganze Zeche bezahlen musste.» 1921 wurde der Sportverein gegründet, um diesen Sport ernsthafter zu betreiben. Der neue Verein zählte 15 Mitglieder, er hatte aber keinen eigenen Fussballplatz: «In den ersten Jahren musste der Verein des öftern sein Terrain räumen, bis schliesslich 1950 auf dem Areal des heutigen Margelackers ein Gemeindesportplatz eingeweiht werden konnte», heisst es in der Chronik. Der Verein hatte auch keinen eigenen Ball. Der erste Ball wurde deshalb beim Velo-Club gemietet. Der Ball wurde vom Materialverwalter jedoch nur ausgegeben, wenn mehr als fünf Spieler anwesend waren!» Was für ein Kontrast zur heutigen Situation: Der Sportverein zählt 1 000 Mitglieder und ist nach dem Turnverein der zweitgrösste Muttenzer Verein. Die erste Mannschaft spielt in der 1. Liga, nachdem der Aufstieg in die Nationalliga B zweimal knapp verpasst wurde. Und der Verein hat so viel Nachwuchs, dass er kaum alle interessierten Kinder und Jugendlichen aufnehmen und ihnen Trainingsplätze anbieten kann.


Abb. 2: SV Muttenz.

In den Vereinen, die sich besonders an Frauen richten, haben die Veränderungen im Bereich der Beziehungen zwischen den Geschlechtern und der Stellung der Frauen in der Gesellschaft das Vereinsleben beeinflusst. Solche Veränderungen reichen oft weiter zurück, als es auf den ersten Blick erscheint. So übernahm bereits im Jahr 1900 erstmals eine Frau («Fräulein Marie Schweizer») das Präsidium des 1886 gegründeten link Frauenchors. Auf die erste Dirigentin musste der Chor allerdings noch bis 1999 warten. In den ersten Jahrzehnten «war es üblich, dass die Töchter bei ihrer Verheiratung aus dem Verein austraten und so musste immer fleissig um Nachwuchs geworben werden». Doch als der Verein, der eine Zeit lang «Töchternchor » genannt wurde, gegen Ende der 1920er-Jahre wegen fehlendem Nachwuchs beinahe auseinanderfiel, wurde diese Regel abgeschafft. Der Frauenchor wurde 1932 neu gegründet und von nun an durften auch verheiratete Frauen mittun.5 Der Chor existiert heute noch, wenn auch mit sinkenden Mitgliederzahlen und einem etwas «überalterten » Profil.

Anpassungsfähigkeit
Dieselben gesellschaftlichen Entwicklungen haben natürlich auch die Geschichte des link Frauenvereins geprägt, der heute etwa 400 Mitglieder zählt. Der Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete Verein war ursprünglich karitativ ausgerichtet. Er leistete materielle Unterstützung an Frauen, durch «Weihnachtspäckli», Beiträge an die Aussteuer oder Schenkung von Kindersachen (siehe auch Kapitel Muttenzer Frauen). Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat der Frauenverein jedoch sein Profil immer wieder den neuen Zeiten angepasst. So wurde vor etwa 30 Jahren eine Bibliothek eröffnet und eine Brockenstube gegründet. Zudem bietet der Verein heute – teilweise im Auftrag der Gemeinde – Kurse an (Budgetberatung, Elternberatung, etc.) und organisiert Lesungen und Vorträge. Die «Unterstützung sozial schwacher Mitbewohner» ist nicht mehr das einzige Vereinsziel.


Abb. 3: Bibliothek «zum Chutz» des Frauenvereins am Brühlweg.

Auch andere Traditionsvereine haben eine erstaunliche Fähigkeit an den Tag gelegt, sich immer wieder an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen. So hat zum Beispiel beim link Turnverein das klassische Turnen, das lange Zeit im Zentrum der Aktivitäten stand, an Bedeutung verloren. Der Verein hat sein Angebot verändert und bietet inzwischen auch Leichtathletik und Mannschaftssportarten (Unihockey, Handball, Volleyball und Basketball) an, die viel Zuspruch erhalten.

In dieser Hinsicht sind die link Heuwänder sicherlich ein Sonderfall. Der Verein wurde 1953 ursprünglich als Theatergruppe gegründet («Muttenzer Mundart Bühni - Aktion Heuwänder»). Auf die Aufführung des Stücks «Gilberte de Courgenay» im Jahr 1956 sind die Heuwänder heute noch stolz. Bald schon hat der Verein seine Aktivitäten aber breiter gefächert und immer wieder an die sich wandelnden Bedürfnisse der Mitglieder angepasst. So wurde der polysportive Bereich (Handball, Grümpelturniere, Geländeläufe, Turnen, etc.) zu einem wichtigen Standbein des Vereins. Auf der kulturellen Ebene folgte auf die Theaterstücke das Engagement für die Fasnacht (Schnitzelbänke, Guggemusig, etc.). Der gesellige Teil wurde durch regelmässige Ausflüge und Reisen, den Lottomatch und verschiedene Festaktivitäten ausgebaut. Die Heuwänder haben heute etwa 230 Mitglieder und betrachten sich als ein «Zweitverein», in dem «jeder seine Interessen wahren kann und an Anlässen teilnimmt, welche ihn ansprechen». Gemeindepräsident Peter Vogt hat in seinem Grusswort zur 50-Jahr-Chronik denn auch die Besonderheit dieses Vereins betont: «Ich kenne keinen anderen polysportiven Verein, der aus einer Theatergruppe hervorgegangen ist.»


Abb. 4: Heuwänder Muttenz

Gestern und heute
Manche Vereine sind bis heute durch bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit geprägt, die immer wieder in Erinnerung gerufen werden. So ist in der Geschichte des link Schwingklubs das Jahr 1948 von herausragender Bedeutung: Damals wurde mit Peter Vogt ein Muttenzer eidgenössischer Schwingkönig. Der Verein hat heute 270 Mitglieder, vermag aber von der jüngsten Renaissance des Schwingsports noch nicht allzu sehr zu profitieren. Ein Ereignis ganz anderer Art prägte die Geschichte des Weinbauvereins, der 1930 gegründet wurde, um den vom Aussterben bedrohten Weinbau in Muttenz zu fördern. Im April 1952 wurde der Westabhang des Wartenbergs von einem Erdrutsch erfasst, der einen Teil des Rebbergs und einige Gebäude zerstörte. Nach den Aufräumarbeiten beschloss die Gemeinde, das ganze betroffene Gebiet zur Rebzone zu erklären, anstatt es teilweise zur Bauzone zu machen, wie es zuvor geplant war. Der Rebbau ging aus diesem Unglücksereignis deshalb gestärkt hervor. Noch in demselben Jahr gründete der link Weinbauverein eine Verwertungskasse, welche die Hobbywinzer bei der Produktion und Verwertung ihrer Weine unterstützt. Heute zählt der Verein 160 Mitglieder und etwa drei Dutzend aktive Winzer.

6 3 A4 Weinbauverein  2
Abb. 5: Der Weinbauverein bietet auch Führungen im Rebberg an.

Auch der link Musikverein zählt zu den ältesten Muttenzer Vereinen. Die Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen (1896 – 1996)6 enthält ein Kapitel mit der Überschrift: «Das Vereinsleben einst und jetzt». Da wird nachgezeichnet, was sich im Laufe des 20. Jahrhunderts im Vereinsleben verändert hat, seit Muttenz vom «eher ärmlichen Bauerndorf» mit 2 500 Einwohnern und Einwohnerinnen zur «modernen Wohn- und Industriegemeinde» mit einer Bevölkerung von 17 000 Personen geworden ist. Manches sei aus dem früheren Jahresprogramm verschwunden, zum Beispiel beim Fackelumzug an der Fasnacht, «wo seit ein paar Jahren mit verstärktem Aufkommen der «Guggemusigen » die traditionelle Marschmusik des Musikvereins Muttenz übertönt und dadurch überflüssig wurde.» Einiges habe sich auch zum Guten verändert: «So müssen die Musikantinnen und Musikanten heute im Winter im heutigen Probelokal Mittenza nicht frieren. Das war im Bären-Saal früher mit dem einzigen Holzofen ganz anders.» Dafür seien damals die Auftritte des Musikvereins auf der Bühne dieses Saals für eine Bevölkerung, die noch kein Fernsehen kannte, «Dorfereignisse von grosser Bedeutung » gewesen.


Abb. 6: Der link Bärensaal: Der Auftritt des Musikvereins in diesem Saal war jedes Mal ein Dorfereignis.

Insgesamt wird aber hervorgehoben, dass sich die Aktivitäten des link Musikvereins seit dessen Gründung nicht vollständig verändert haben. Für eine lange historische Kontinuität stehen die «alljährlich wiederkehrenden Anlässe im Dorf» wie der link Eierläset, die Bundesfeier und der link Banntag, die der Verein jeweils musikalisch umrahmt.

Neue Vereine
Der Blick auf die Geschichte der Traditionsvereine vermittelt reichhaltige Eindrücke vom Wandel des Muttenzer Vereinslebens und zeigt, wie sich die Vereine an gesellschaftliche Veränderungen anzupassen vermochten. Doch dieser Wandel besteht auch darin, dass immer wieder neue Vereine ins Leben gerufen werden. So sind 8 von den 44 Vereinen, die sich an der Befragung beteiligt haben, erst 1990 oder später entstanden. Hier sind insbesondere zwei Vereine zu erwähnen, die für das kulturelle Leben in Muttenz wichtig geworden sind. Zum einen der erst 2006 entstandene Kulturverein, der bereits über 400 Mitglieder gewonnen hat. Der Verein verfolgt das Ziel, qualitativ hochstehende Kulturveranstaltungen durchzuführen und  junge Kunstschaffende zu fördern, «damit Muttenz nicht nur eine Schlafgemeinde ist». Zum andern die 1990 gegründete link Theatergruppe Rattenfänger mit ungefähr 60 Mitgliedern. Sie führt jeden Sommer ein Freilichtschauspiel mit Laiendarstellern auf und hat für diese Leistung bereits verschiedene Kulturpreise erhalten, zuletzt im Jahr 2003 den Preis der Gemeinde Muttenz. Die Freilichtaufführungen, die jeweils einige Tausend Zuschauerinnen und Zuschauer anziehen, sind ein Beispiel dafür, wie gewisse Vereine das Leben in der Gemeinde prägen und bereichern. Und es zeigt sich hier, dass nicht nur die Traditionsvereine in dieser Hinsicht eine Rolle spielen.

Anmerkungen
4 Die Chronik ist auf der Internetseite des Vereins zu finden ( http://www.svmuttenz.ch/): Verein > Geschichte.
5 Die Angaben und Zitate sind einer kurzen Chronik von Gertrud von der Crone (Januar 1986) entnommen, die zwischen 1959 und 1969 Präsidentin des Frauenchors war.
6 Louise Meyer-Rahm und Wolfgang Mosimann: 100 Jahre Musikverein Muttenz 1896 – 1996. Muttenz 1996. Die Mitverfasserin war 1978 als erste Frau dem Musikverein beigetreten.


 

 

 

 

 

 

 

Vereinsleben
Vereinsstandort Muttenz
Ist das Vereinsleben in Muttenz so lebendig, weil die Gemeinde den Vereinen einige besonders vorteilhafte Bedingungen bietet? Ist Muttenz ein attraktiver «Standort» für Vereine? Ich habe versucht, mit Hilfe statistischer Daten einige Hinweise auf diese Fragen zu finden.7 Dabei legte ich das Augenmerk auf Vergleiche zwischen Muttenz und seinen Nachbargemeinden (Pratteln, Birsfelden, Münchenstein und Basel), der Agglomeration um Basel und dem gesamten Kanton Baselland.

Im Gespräch betonte IGOM-Präsident Heiner Vogt, in Muttenz sei seit langer Zeit «alles gleich geblieben», zum Beispiel wachse die Bevölkerung nicht. Bietet diese Stabilität den Vereinen einen fruchtbaren Rahmen für ihre Tätigkeit? Tatsächlich ist die Wohnbevölkerung der Gemeinde seit 1980 beinahe unverändert geblieben, sie ist nur um 1.1 % gewachsen. In mehreren Gemeinden in der Agglomeration sieht es ähnlich aus. In Aesch, Bottmingen, Therwil und Oberwil ist die Bevölkerung seit 1980 um über 20 % gewachsen, während sie in Pratteln leicht (3.9 %) und in Birsfelden deutlich (17.2 %) zurückging. Basel-Stadt erfuhr einen Rückgang von 7.6 %, Baselland einen Anstieg von 16.2 %. Wenn wir noch weiter zurückschauen, lässt sich festhalten, dass sich die Wohnbevölkerung von Muttenz zwischen 1950 und 2008 mehr als verdoppelt hat (von 7 125 auf 17 134 Personen). In Reinach und Therwil ist die Bevölkerung im  selben Zeitraum sogar um das fünf- bis sechseinhalbfache gewachsen, in Birsfelden und Münchenstein etwas weniger stark als in Muttenz, und in Basel-Stadt war ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Bei der Bevölkerungsentwicklung fällt Muttenz nicht aus dem Muster heraus, das sich in der ganzen Agglomeration um Basel herum beobachten lässt: Auf ein sehr starkes Wachstum zwischen 1950 und 1980 folgt bis heute eine Phase der Stagnation oder ein im historischen Vergleich nur noch langsamer Anstieg der Wohnbevölkerung. Die unmittelbare Nähe  zur Stadt Basel beeinflusst natürlich das Leben in Muttenz. Setzen die lokalen Vereine ein Gegengewicht? Erlauben sie es einem Teil der Bevölkerung, eine «lokale Identität» zu bewahren, obschon man in Basel arbeitet – und vielleicht auch einkauft und ausgeht? Im Jahr 2000 arbeiteten 40 % der in Muttenz wohnhaften Erwerbstätigen im Kanton Basel-Stadt. 31.7 % hatten  ihren Arbeitsplatz in der Wohngemeinde. Dieser Anteil ist höher als in Münchenstein (23.6 %), in Birsfelden (19.9 %) oder Binningen (20.8 %). In Pratteln dagegen waren noch etwas mehr Erwerbstätige in der Wohngemeinde beschäftigt (33.4 %). Vor allem fällt auf, dass Muttenz zahlreiche Erwerbstätige aus Basel anzieht: Sie machten 2000 knapp 30 % der Erwerbstätigen  aus. Muttenz ist zusammen mit Münchenstein und Pratteln die einzige Gemeinde in der Agglomeration, die mehr «Zupendler» als «Wegpendler» aufweist, und hier ist der «Pendlerüberschuss» am stärksten. Daran lässt sich erkennen, dass Muttenz eben nicht nur eine Wohngemeinde, sondern auch ein Wirtschaftsstandort mit einer gewissen Ausstrahlung ist.

Der Freiwilligen-Monitor weist darauf hin, dass in den Städten weniger Menschen in Vereinen engagiert sind als auf dem Land.8 Unter verschiedenen Gesichtspunkten ist Muttenz weniger «städtisch» als die Nachbargemeinden, und dies mag einen Einfluss auf das Vereinsleben haben. Ein Beispiel sind die Wohnverhältnisse. In Muttenz lag der Anteil der Einfamilienhäuser im  Jahr 2000 bei 31.7 %, nur knapp unter dem Wert für den gesamten Kanton (34 %). Münchenstein wies einen ähnlichen Anteil aus (32.4 %), aber in Pratteln (21.3 %), Birsfelden (6.9 %) und Allschwil (19.8 %) waren Einfamilienhäuser deutlich weniger verbreitet. Der Anteil grosser Wohnungen (ab 5 Zimmer) lag in Muttenz (26.9 %) deutlich höher als in Pratteln (19.4 %), Birsfelden (8.7 %) oder Basel (10.3 %). Ein anderes Indiz stellt der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung dar, der in Muttenz mit 17.5 % unter dem kantonalen Durchschnitt von 18.8 % liegt (März 2008). In Pratteln erreicht dieser Wert 36.9 %, in Basel 33.3 %, in Birsfelden 23.9 % und in Münchenstein 20.9 %. Es ist bekannt, dass Menschen ohne Schweizer Pass in Vereinen unterdurchschnittlich vertreten sind. Laut Angaben des Bundesamts für Statistik sind 27.4 % der Schweizerinnen und Schweizer und 10.2 % der Ausländerinnen und Ausländer in Vereinen aktiv tätig, wobei die relativ geringe Präsenz der ausländischen Wohnbevölkerung vor allem bei den ehrenamtlichen Führungsaufgaben stark ins Auge springt.9

Tab. 2: Muttenz im statistischen Vergleich (alle Angaben in Prozent)  

  Muttenz Birsfelden Pratteln Basel-Stadt BL
Bevölkerung (1980 – 2008) 1.1 - 17.2 - 3.9 - 7.6 16.2
Erwerbstätige am Wohnort 31.7 19.9 33.4 n. bek. 25.9
Einfamilienhäuser 31.7 6.9 21.3 n. bek. 34.0
Ausländeranteil 17.5    23.9 36.9 33.3 18.8

Stadt oder Dorf?
Doch Zahlen «sprechen nicht» von selbst, sie müssen interpretiert werden. Ihre tatsächliche Bedeutung ist von der Lebenserfahrung der Menschen im Alltag abhängig. Diesbezüglich ist bei meinen Nachforschungen ein Wort immer mehr zum Schlüsselbegriff geworden. Obwohl Muttenz von der Bevölkerungszahl her offiziell eine Stadt ist, war immer wieder mit grosser Selbstverständlichkeit von einem «Dorf» die Rede. Der IGOM-Präsident Heiner Vogt betonte, wie der Dorfkern vor dem Durchgangsverkehr, den Industriewerken und dem Rangierbahnhof abgeschirmt sei. Für Gemeindepräsident Peter Vogt tragen die Vereine wesentlich dazu bei, dass «man sich im Dorfzentrum trifft» und dass die Bevölkerung denkt: «Wir sind ein Dorf.» Auch die Tatsache, dass in Muttenz im Gegensatz zu Reinach, Pratteln, Binningen und Allschwil bis heute die Gemeindeversammlung nicht durch einen Einwohnerrat ersetzt wurde, ist für Peter Vogt in dieser Hinsicht von grosser Bedeutung. Die Vereine hätten deshalb oft mehr Einfluss auf die Politik als die Parteien.


Abb. 7 und 8: Der Männerchor und der Frauenchor feiern mit am Umzug zum Fest «100 Jahre Musikverein Muttenz» (1996).

Der Gemeindepräsident beschrieb den Kern dieses «Dorfs» als ein Netzwerk, in dem «man sich kennt» undaufeinander Rücksicht nimmt. Im Gegensatz zu so mancher anderen Gemeinde herrsche in Muttenz ein gutes politisches Klima ohne harte Fronten und unnötige Konflikte. Alle wichtigen Personen und Organisationen hätten «Beisshemmungen», weil sie gut miteinander auskommen wollten. Die Vereine seien in der Gemeindeversammlung jeweils gut vertreten und verhielten sich solidarisch zueinander. Es komme auch oft vor, dass Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen in den Gemeinderat gewählt würden. Peter Vogt verkörpert selbst die sehr engen Kontakte zwischen den Gemeindebehörden und den Vereinen: Er war im Turnverein und im Schwingklub engagiert und tritt heute zum Beispiel als OK-Präsident des Musikfestes beider Basel auf, das 2010 in Muttenz stattfinden wird. Muttenz sei den Vereinen gegenüber grosszügiger als alle anderen Gemeinden, hielt er fest, und die Präsenz der Vereine in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat sorge dafür, dass es auch so bleiben werde.

Ein Geben und Nehmen
Die Hälfte der 44 Vereine, die sich an der Umfrage beteiligten, bezeichneten sich als «gemeinnützige Einrichtungen ». Drei Viertel gaben an, sich an Anlässen oder Einrichtungen der Gemeinde zu beteiligen oder sonst einen bestimmten «Beitrag zum Gemeindeleben» zu leisten. 31 Vereine kreuzten an, sie würden Unterstützung von der Gemeinde erhalten; am meisten wurde finanzielle Unterstützung genannt, aber auch der – gratis oder zu reduzierten Preisen gewährte – Zugang zu Räumen, Plätzen und Infrastrukturen und der Werkhof sind für zahlreiche Vereine wichtig. 16 Vereine gaben an, sich mehr Unterstützung von der Gemeinde zu wünschen, 27 haben diese Frage mit «Nein» beantwortet. Gemeindepräsident Peter Vogt hat die Beziehung zwischen der Gemeinde und den Vereinen als ein «Geben und Nehmen» beschrieben, bei dem beide Seiten auf ihre Rechnung kommen. Für die Gemeinde seien die  Vereine aus zwei Gründen wichtig. Zum einen sorgten sie für hohe Lebensqualität, mehr soziales Leben und ein gutes Klima. Zum anderen übernähmen sie Aufgaben, mit denen die Gemeinde allein überfordert wäre. Als Beispiel nannte Peter Vogt die Jugendarbeit: Die Gemeinde habe ein Jugendhaus, aber das reiche natürlich nicht aus, um allen Kindern und Jugendlichen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung anzubieten. Oder die Betreuung älterer Personen: Auch hier spielen die Vereine in seinen Augen eine wichtige Rolle. Natürlich sieht der «Beitrag zum Gemeindeleben » von Verein zu Verein anders aus. Tabelle 3 gibt einen Überblick zu allgemeinen Zielen, welche die Vereine in der Hinsicht verfolgen. Die grösste Zustimmung erhielt in der Umfrage das Ziel, «Muttenz zu einer lebenswerten Gemeinde zu machen».

Tab. 3: Möchte der Verein zur Erreichung der folgenden Ziele beitragen?

  Ja Nebenbei Nein
Muttenz zu einer lebenswerten Gemeinde machen 28 10 2
Solidarität und Austausch in der Bevölkerung fördern 24 10 6
die Integration von Menschen ohne Schweizer Pass fördern 12 16 10
die Gleichstellung von Mann und Frau fördern 16 12 9
Aufgaben übernehmen, die der Staat nicht (mehr) leisten kann 11 8 19
die beruflichen Perspektiven der Mitglieder fördern 5 9 24
das Verantwortungsbewusstsein der Mitglieder fördern 28 7 6
Armut und Ausgrenzung bekämpfen 12 11 14
Menschen in schwieriger Lage helfen 13 16 12
in politische Auseinandersetzungen eingreifen 4 3 32
Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung betreiben 10 8 21
Muttenz als Wirtschaftsstandort attraktiv machen 10 5 24

Interessant ist auch die Feststellung, dass dieses «Geben und Nehmen» scheinbar weitgehend ohne vertragliche Grundlagen zustande kommt. So sind zum Beispiel die Subventionen, welche die Gemeinde verschiedenen Vereinen zuspricht, «historisch gewachsen»; eine allgemeine Regelung gibt es nicht. IGOM-Präsident Heiner Vogt meinte, das sei «nicht gut gelöst», und es bestehe die Gefahr, dass gewisse Vereine sich im Vergleich zu anderen benachteiligt fühlten. Er betonte, die Gemeinde müsse sich überlegen, wie viel ein Verein «wert» ist, und in Zukunft vielleicht eher Aufträge oder Anlässe – statt die Vereine an sich – subventionieren. Doch er sieht zugleich die Gefahr, dass durch zu viel gezieltes Sponsoring die traditionelle  «Helferkultur» ausgehöhlt werden könnte. Gemeindepräsident Peter Vogt sprach sich dagegen aus, als Basis für Subventionen Leistungsvereinbarungen mit den Vereinen zu schliessen. Das sei ein «technokratischer Ansatz», der nicht zur Muttenzer Kultur passe. Wenn man Vertrauen zeige und beiden Seiten Spielräume lasse, komme die Gegenleistung von selbst, gab er sich überzeugt. Ausserdem würde das Aushandeln von solchen Leistungsvereinbarungen die Vereine wohl in Gewinner und Verlierer spalten – eine «Büchse der Pandora», die der Gemeindepräsident nicht öffnen will.

Renaissance der IGOM
Besonders präsent im Gemeindeleben sind einige Vereine, die bei der Durchführung grösserer Feste und Veranstaltungen in Muttenz eine zentrale Rolle wahrnehmen. Es handelt sich teilweise um Anlässe, die auf eine lange Tradition zurückgehen, wie der « Eierläset» oder der «link Banntag». Andere Veranstaltungen, wie «link Jazz uf em Platz» oder das «link Freilicht-Theater», sind noch nicht so alt, gelten aber inzwischen als feste Bestandteile des Gemeindelebens. Hinzu kommen neuere Anlässe wie das durch den Bike Club und die Heuwänder organisierte «Bike Challenge». Einige der grösseren Vereine, vor allem der Turnverein, der Sportverein, der Wasserfahrverein, der link Musikverein und die link Jugendmusik, haben vor kurzer Zeit damit begonnen, der IGOM ein «neues Leben» einzuhauchen. Laut Heiner Vogt, der für 2008 als Präsident gewählt wurde, kommt darin die zunehmende Bereitschaft der Vereine zum Ausdruck, zusammenzuarbeiten und Synergien zu suchen, statt sich gegenseitig Konkurrenz zu machen. Die IGOM möchte zur zentralen Schnittstelle zwischen den Vereinen, der Gemeinde, dem Gewerbe und der Bevölkerung werden. Sie will allen Vereinen – ob gross oder klein – gewisse Dienstleistungen anbieten. Als Beispiel nannte Heiner Vogt die Einrichtung eines stehenden Organisationskomitees für den «Banntag», damit auch etwas kleinere Vereine die Verantwortung für diesen Grossanlass, dessen Durchführung mit sehr viel Aufwand und beträchtlichen Risiken – «Spielt das Wetter mit?» – verbunden ist, übernehmen können.


Tab. 4: Jährliche Grossveranstaltungen in Muttenz (Quelle: IGOM)

Anlass im Dorf organisierender Verein Publikumszuspruch
Fasnacht  OK Fasnacht, Verkehrsverein 400
Eierleset Turnverein 400
1. Maitanz Verkehrsverein keine Angabe
Freilicht-Theater Theatergruppe Rattenfänger 2 000 bis 4 000
Sportfest Sportverein keine Angabe
Banntag (wechselnd) 2 000
Jazz uf em Platz Turnverein, Schänzlifäger 4 000
1. Augustfeier Verkehrsverein 1 000
Fischessen (Mattenfest) Wasserfahrverein 700

Anmerkungen
7 Die folgenden Daten beruhen auf Angaben der Statistischen Ämter Baselland und Basel-Stadt, die auf dem Internet ( http://www.baselland.ch/main_stat-htm.273930.0.html) (http://www.statistik-bs.ch/) abgerufen werden können. Besonders interessant sind die Gemeindeportraits auf der Grundlage der Volkszählung im Jahr 2000.
8 Isabelle Stadelmann-Steffen, Markus Freitag und Marc Bühlmann: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2007. Zürich 2007, S. 70.
9 Diese Angaben beruhen auf der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) im Jahr 2007. Sie sind auf der Internetseite des Bundesamts für Statistik zu finden ( http://www.bfs.admin.ch): Themen > Wirtschaftliche und soziale Situation der Bevölkerung > Unbezahlte Arbeit.


 

 

 

 





Mitglieder
Das typische Mitglied
In der Befragung habe ich die Vereine gebeten, die Charakterzüge ihrer «typischen» Mitglieder zu beschreiben. «Es sind alles einfache Mitglieder», hiess es bei den Senioren Muttenz. «Wir sind starke, engagierte Frauen», hielt die Vertreterin des link Frauenchors fest, während beim link Frauenverein «durchschnittliche, neutrale Frauen» zu finden seien. Die Mitglieder der Naturfreunde wurden als «wohl gesinnt und bescheiden» beschrieben, diejenigen des Schachklubs als «ganz verschieden», aber «eher konservativ». Bei vielen Vereinen wurde betont, die Mitglieder seien «sozial» eingestellt, hilfsbereit und verantwortungsbewusst. Besonders qualifizierte Mitglieder scheint der link Turnverein zu haben: «zuverlässig, zu Ende bringend, diszipliniert, sozial engagiert, pünktlich, teamfähig, sozial integriert, Körperbewusstsein, gerne in Gesellschaft, offen für Neues», heisst es da. Während die Mitglieder der link Freischützen «sportlich ehrgeizig» sind, dominieren in der link Kantorei St. Arbogast die «Liebe zur Musik» und der «Gemeinschaftssinn». Offensichtlich sind die «typischen» Mitglieder so unterschiedlich wie die Vereine selbst.


Abb. 9: Jahreskonzert des Musikvereins 2008

Wie erwartet wurde die Frage nach den politischen Einstellungen der Mitglieder von vielen Vereinsverantwortlichen als heikel oder «fehl am Platz» empfunden. Von den 44 teilnehmenden Vereinen haben nur 21 Angaben dazu gemacht, wogegen die anderen in der Regel ihre «politische Neutralität» betonten. Erwähnenswert ist in der Hinsicht die Antwort der Opel Gang Nordwestschweiz, weil sie auf ihre Art – vielleicht unbewusst – zeigt, dass «politisch neutral» nicht unbedingt «unpolitisch» bedeutet: «Wir sind politisch neutral. Aber ich denke eher rechts, da wir überzeugte Autofahrer sind», heisst es da. Relativ stark verbreitet scheinen in den Vereinen Einstellungen wie «sozial», «liberal», «patriotisch» oder «Mitte» zu sein; deutlich seltener dagegen «rechts», «links», «konservativ», «individualistisch» sowie «multikulturell»; kaum vorzukommen scheinen «feministische» Ansichten. Natürlich sind diese Angaben mit einiger Vorsicht zu geniessen.

Arbeiter, Handwerker, Mittelstand
Aus empirischen Untersuchungen ist bekannt, dass sich verschiedene Gruppen der Bevölkerung unterschiedlich stark in Vereinen engagieren. Beat Schmid vom Bundesamt für Statistik betonte vor allem vier Faktoren, welche die Beteiligung an ehrenamtlichen Führungsaufgaben in Vereinen beeinflussen: das Bildungsniveau, die Staatszugehörigkeit, das Geschlecht und die Sprachregion.10 Am häufigsten in diesen Ehrenämtern anzutreffen seien «40- bis 64-jährige Familienväter mit tertiärem Bildungsabschluss, die einen höheren Beruf ausüben, weiterbildungsaktiv sind, das Schweizer Bürgerrecht besitzen und in einem eher ländlichen Gebiet der deutschen Schweiz wohnen». Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen die Unterschiede zwischen den Berufsgruppen auf: Während über 30% der Führungskräfte, Wissenschaftler und Techniker Freiwilligenarbeit in Vereinen leisten, erreicht dieser Anteil bei den kaufmännischen Angestellten 23.4 % und bei den Handwerkern 24.1 %, bei den Hilfsarbeitskräften nur 16.5 %. Noch grösser werden diese Unterschiede, wenn zwischen den Führungsaufgaben und den Basisaufgaben in den Vereinen differenziert wird: 21.1 % der Wissenschaftler, aber nur 7.3 % der Hilfsarbeitskräfte sind mit Führungsaufgaben betraut. Bei den Basisaufgaben ist die Differenz viel kleiner (15 beziehungsweise 10.1 %).11


Abb. 10: Kantorei St. Arbogast. Aufführung der Matthäuspassion von Carl Philipp Emanuel Bach mit dem Orchester Capriccio Basel, in der Martinskirche, 2009.

Wie sieht es diesbezüglich in Muttenz aus? Ich habe einerseits nach der Präsenz von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gefragt. Bei den Antworten springt vor allem ins Auge, dass beinahe alle Vereine betonten, mindestens die Hälfte ihrer Mitglieder zählten zum «Mittelstand».12  Vereine kreuzten an, dies gelte für über 80 % ihrer Mitglieder. Keine andere Kategorie erzielte derart hohe Werte. Gut die Hälfte der Vereine gaben an, über 50 % der Mitglieder seien «Ältere» (ab 50 Jahren). Frauen scheinen insgesamt leicht untervertreten zu sein. Nur sehr schwach scheinen Arbeitslose und Menschen ohne Schweizer Pass vertreten zu sein. Bei einer anderen Frage haben nur 3 von 44 Vereinen angegeben, dass sie in Zukunft vor allem mehr Ausländerinnen und Ausländer als Mitglieder gewinnen wollen. In Bezug auf die Berufsgruppen fallen die sehr hohen Werte für die gelernten Arbeiter und die Handwerker ins Auge (siehe Tabelle 5). Die bei den Tabellen des Bundesamts für Statistik an der Spitze stehenden Führungskräfte, Wissenschaftler und Techniker scheinen in den Muttenzer Vereinen etwas weniger präsent zu sein. Aber auch diese Angaben sind natürlich mit Vorsicht zu geniessen: Sie beruhen auf Schätzungen von Vereinsverantwortlichen und können nicht die Kriterien erfüllen, die für eine repräsentative Umfrage erforderlich wären.

Tab. 5: Wie gut sind folgende Berufsgruppen im Verein vertreten?

  sehr gut gut selten gar nicht
ungelernte Arbeitskräfte 1 2 14 12
einfache Angestellte 4 13 9 4
gelernte Arbeiter 9 13 6 4
Handwerker 8 15 5 2
landwirtschaftliche Berufe 0 1 13 13
kaufmännische Angestellte 5 24 0 2
Sozial- und Pflegeberufe 3 9 13 7
Lehrerinnen und Lehrer 1 7 9 11
Techniker 2 11 11 4
Wissenschaftler 1 3 11 14
Führungskräfte 2 13 12 2


Die Motivation der Mitglieder
Im Freiwilligen-Monitor wird festgehalten, dass die Menschen sich nicht nur aus «altruistischen» Gründen (wie Solidarität, Nächstenliebe, Engagement für bestimmte Werte und Überzeugungen, etc.) in den Vereinen engagieren. Ebenso wichtig sind oft eine «Erlebnisorientierung» (Spass haben, etwas erleben, Menschen kennen lernen, etc.) oder Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und persönlichen Entfaltung.12 Wichtig ist auch ein Aspekt, den der Soziologe Pierre Bourdieu als «soziales Kapital» bezeichnet hat: Das Engagement in Vereinen erlaubt es den Menschen, zahlreiche Kontakte zu knüpfen sowie dauerhafte Verbindungen einzugehen, die sich für sie als nützlich erweisen und dazu beitragen können, ihren Bekanntheitsgrad und ihr Ansehen zu steigern. Diesen Aspekt hat Bourdieu mit dem Begriff «symbolisches Kapital» beschrieben: Es handelt sich um einen «Kredit», eine Glaubwürdigkeit, die einer Person zugestanden wird, weil sie mit anderen glaubwürdigen Personen in Kontakt steht.13

Wenn nun Vereinsmitglieder nach der Motivation für ihr Engagement gefragt werden, ist nicht davon auszugehen, dass sie diese Dimensionen des «sozialen» und des «symbolischen Kapitals» erwähnen – sei es, weil sie darüber lieber nicht sprechen möchten, sei es, weil ihnen diese Aspekte nicht unbedingt bewusst sind. Ich habe mit dem Fragebogen nicht versucht, solche «verborgenen Mechanismen der Macht» – wie Pierre Bourdieu sie nennt – einzufangen, sondern nach Dimensionen gefragt, die im Freiwilligen-Monitor zur Sprache kommen. In der Tabelle 6 sind die Ergebnisse dargestellt. Die Aussagen «Die Vereinstätigkeit macht Spass» und «Man kommt mit netten Menschen zusammen» haben viel Zustimmung erhalten; sie gehören zur «Erlebnisdimension». Hohe Werte gab es ausserdem für «Man erweitert Kenntnisse und Fähigkeiten»; das zählt zur Selbstverwirklichung und persönlichen Entwicklung. Darauf folgt die Aussage «Man tut etwas für das Gemeinwohl», die dem klassischen «altruistischen» Muster entspricht.

Tab. 6: Motivation der Vereinsmitglieder

  sehr wichtig wichtig unwichtig
Die Vereinstätigkeit macht Spass. 18 19 2
Man kommt mit netten Menschen zusammen. 21 18 1
Man kann anderen Menschen helfen. 5 13 18
Man tut etwas für das Gemeinwohl. 12 17 10
Man erweitert Kenntnisse und Fähigkeiten. 17 18 4
Man kann Verantwortung übernehmen. 4 26 8
Man erhält Anerkennung für diese Tätigkeit. 6 15 15
Man kann berechtigte Interessen vertreten. 7 9 21
Man kann seine Probleme angehen und lösen. 3 11 23
Es bringt etwas für die beruflichen Perspektiven. 3 7 27

Interessiert hat mich auch die Frage, mit welchen Mitteln es den Vereinen am besten gelingt, neue Mitglieder zu gewinnen. Die Antworten (Tabelle 7) deuten darauf hin, dass auch in Zeiten der Globalisierung und des Internets traditionelle Mittel wie Veranstaltungen und Mund-zu-Mund-Werbung weiterhin hoch im Kurs stehen. Zwar verfügen die meisten Vereine über eine  Internetseite, aber deren Bedeutung für die Mitgliederwerbung wird in der Regel nicht allzu hoch eingeschätzt.

Tab. 7: Die erfolgreichsten Mittel der Mitgliederwerbung
(«Wie oft gelingt es dem Verein mit folgenden Mitteln, Mitglieder zu gewinnen?»)

  oft manchmal selten wird nicht gemacht
Veranstaltungen 11 19 7 3
Internetseite 2 12 16 4
Mund-zu-Mund-Werbung 23 18 2 0
Inserate 1 5 12 19
Postversand 2 4 7 21
Öffentlichkeitsarbeit 6 15 6 9

Anmerkungen
10 Beat Schmid: Wer ist in der Schweiz freiwillig tätig? Ergebnisse des Moduls 2000 «Unbezahlte Arbeit». In: Schauer, Blümle et al., Hrsg.: Nonprofitorganisationen im Wandel. Herausforderungen, gesellschaftliche Verantwortung, Perspektiven. Linz 2000, S. 231ff.
11 Diese Angaben sind auf der Internetseite des Bundesamts für Statistik zu finden ( http://www.bfs.admin.ch): Themen > Wirtschaft liche und soziale Situation der Bevölkerung > Unbezahlte Arbeit.
12 Isabelle Stadelmann-Steffen, Markus Freitag und Marc Bühlmann: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2007. Zürich 2007, S. 73ff.
13 Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik und Kultur 1. Hamburg 1992, S. 49 – 79.


 

 

 

 

 

 

 

Zukunftsaussichten

Wie schätzen die Muttenzer Vereine ihre Zukunft ein?  Wird es ihnen gelingen, trotz Globalisierung, Individualismus und Konkurrenzdenken, Internet und Massenmedien und der grossen Anziehungskraft der Stadt Basel ein reges Gemeindeleben im «Dorf» aufrecht zu erhalten? Oder müsste das «trotz» eigentlich durch ein «dank» ersetzt werden, weil die genannten Faktoren letztlich viele Menschen gerade dazu ermuntern, sich in Vereinen zu engagieren, um gewissen Trends der heutigen Zeit etwas entgegenzusetzen? Es ist nicht möglich, diese Fragen hier abschliessend zu beantworten. Aber ich möchte zum Schluss einige Hinweise dazu anführen, auf die ich bei meiner kleinen Studie gestossen bin.


Abb. 11: Nachwuchsförderung beim Turnverein Muttenz: Die Jugendriege.

4 Vereine schätzen ihre Zukunft als «sehr gut» ein, 17 als «gut», 5 als «kritisch» und ebenfalls 5 als «schlecht». Bei 10 Vereinen war die Antwort offen («weder gut noch schlecht») und 3 Vereine haben die Frage nicht beantwortet. Interessanterweise sind die 4 Vereine, die ihre Zukunft als «sehr gut» einschätzten, von ihrer Zielsetzung her unterschiedlich: Es handelt sich um den Sportverein, die Kantorei St. Arbogast, die Heuwänder und die Senioren Muttenz. 6 Vereine gaben steigende, 11 Vereine sinkende und 27 Vereine gleich bleibende Mitgliederzahlen an. Aber nur 4 Vereine kreuzten an, heute «schlechte Zeiten» zu erleben. 22 von 44 Vereinen stimmten der Aussage zu, es sei schwieriger als früher, neue Mitglieder zu finden. Dafür wurden unterschiedliche Gründe genannt: das grosse Freizeitangebot; die sinkende Bereitschaft, längerfristige Verpflichtungen einzugehen; die «Überalterung » einiger Vereine; die verbreitete Konsumhaltung.

Beim Versuch, sich ein Gesamtbild zu machen, stechen zwei Herausforderungen heraus, mit denen die Vereine – in Muttenz und anderswo – heute konfrontiert sind. Die erste Herausforderung betrifft die Nachwuchsförderung. Zahlreichen Vereinen fällt es schwer, neue junge Mitglieder zu gewinnen und in die Vereinsaktivitäten zu integrieren. Aber es gibt auch Gegenbeispiele, wie der Sportverein, der – wie bereits erwähnt – einen Grossandrang von Kindern und Jugendlichen erlebt. Ein anderes interessantes Beispiel ist der Musikverein, der vor allem dank der Zusammenarbeit mit der Jugendmusik immer wieder Nachwuchs erhält.


Abb. 12: Jahreskonzert der Jugendmusik 2008. Dank der Zusammenarbeit mit der Jugendmusik erhält der Musikverein immer wieder Nachwuchs.

Die zweite Herausforderung besteht darin, innerhalb des Vereins genügend Personen zu finden, die bereit sind, bestimmte Aufgaben und Funktionen auf Dauer wahrzunehmen. Diese  Suche nach «Vereinsfunktionären» wird durch die Krise des traditionellen Ehrenamts erschwert: Selbst in einem «Dorf» wie Muttenz ist es heute nicht (mehr) selbstverständlich, in einem Verein Verantwortung zu übernehmen, um «dabei zu sein» und «etwas zu sagen» zu haben.

IGOM-Präsident Heiner Vogt hat im Turnverein – dessen Präsident er ebenfalls ist – ein Programm «Vom Ehrenamt zu den Volunteers» gestartet. Er hielt fest, dass die Vereine ihre Funktionäre systematischer suchen und besser «pflegen» müssten als bisher. Es sei ihre Aufgabe, nicht nur die sportlichen oder künstlerischen Talente zu fördern, sondern auch die Sozialkompetenzen ihrer Mitglieder zu erkennen und nutzbar zu machen: «Wenn einer besser rechnen als Fussball spielen kann, soll man halt auf ihn zugehen und ihm vorschlagen, Kassier zu werden!» Diese Strategie sei allemal erfolgreicher, als sich hinzustellen und in die Wüste zu rufen: «Wir brauchen einen Kassier!» Ausserdem sollten die Vereine den Funktionären mehr Anerkennung zukommen lassen, unter Umständen auch mit Zeugnissen, die im beruflichen Leben «etwas bringen». Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang und zum Schluss interessant, nochmals einen Blick in den Freiwilligen-Monitor zu werfen. Die aktiven Vereinsmitglieder wurden gefragt, mit welchen Mitteln die Vereine das Engagement der Mitglieder noch steigern könnten. Dabei wurden die «fachliche Unterstützung der Tätigkeit» und die «Mitsprache und Mitbestimmung in der Organisation» am meisten genannt. Darauf folgten die «Anerkennung der Tätigkeit durch hauptamtliche Personen in der Organisation» und die «Bereitstellung von Finanzmitteln für bestimmte Projekte ». Weniger genannt wurden «Weiterbildungsmöglichkeiten » und die «Anerkennung der Tätigkeit in Form von Zeugnissen, Ausweisen o. Ä.». Die «finanzielle Entschädigung für die geleistete Arbeit» und die «unbürokratische Kostenrückerstattung» stehen auf dieser Wunschliste der aktiven Vereinsmitglieder ganz unten. Beinahe 30 Prozent der Befragten sahen überhaupt keinen Handlungsbedarf. Von der Öffentlichkeit und vom Staat wünschen sich die aktiven Vereinsmitglieder vor allem zweierlei: eine grössere Anerkennung ihrer Tätigkeit durch Medienberichte und eine bessere Information und Beratung über Gelegenheiten zur Freiwilligenarbeit.14

Diese Ergebnisse bestätigen den Eindruck, den ich auch in Muttenz gewonnen habe: Es steht nicht schlecht um die Vereine, aber es gibt einige Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, um ihre mittel- und längerfristige Zukunft auf ein solides Fundament zu stellen.

Anmerkungen
14 Isabelle Stadelmann-Steffen, Markus Freitag und Marc Bühlmann: Freiwilligen-Monitor Schweiz 2007. Zürich 2007, S. 112 – 113.